Allgemeiner Gleichheitssatz

Aus Kommunalwiki
(Weitergeleitet von Gleichheit)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(GG Art. 3)

Adressaten des Gleichheitssatzes

Gesetzgeber

Siehe Rechtsetzungsgleichheit

Verwaltung

Rechtsprechung

Ausprägungen

Rechtsanwendungsgleichheit

Anwendungsfälle

Zulassung zur Benutzung öffentlicher Einrichtungen

Bei einer Erschöpfung der Kapazität der öffentlichen Einrichtung hat der Bewerber ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens, d.h. darauf, dass die Auswahlentscheidung nach sachlichen Kriterien und unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes (GG Art. 3 Abs. 1, BV Art. 118 Abs. 1) getroffen wird<ref>st. Rspr., BayVGH, Beschluss vom 11.09.1981 - 4 CE 81 A.1921 = NVwZ 1982, 120 = BayVBl 1982, 656; vom 10.9.1998 NVwZ-RR 1999, 574; VGH Bayern, Urteil vom 31.03.2003 - 4 B 00.2823 = VGH 56, 98 = NVwZ-RR 2003, 771 = BayVBl 2003, 501; BayVGH, Beschluss vom 12. Juli 2010 · Az. 4 CE 10.1535</ref>.

Anspruch auf gleichmäßige Teilhabe an bestehenden Studienplätzen

"Der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz im Bereich des Ausbildungswesens erschöpft sich indessen nicht in der den Freiheitsrechten herkömmlich beigemessenen Schutzfunktion gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach ausgesprochen, daß die Grundrechte zugleich als objektive Normen eine Wertordnung statuieren, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht, und daß daher die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind<ref>(BVerfGE 21, 362 [372] mit weiteren Nachweisen)</ref>. Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen. Diese Entwicklung zeigt sich besonders deutlich im Bereich des Ausbildungswesens, das sich insoweit trotz des im übrigen bestehenden engen Zusammenhanges mit der Berufswahl von dieser unverkennbar abhebt: Die Berufsfreiheit verwirklicht sich gegenwärtig - abgesehen von dem der Sonderregelung des Art. 33 GG unterliegenden öffentlichen Dienst<ref>(vgl. dazu BVerfGE 7, 377 [398]; 17, 371 [379 f.])</ref> - vorwiegend im Bereich der privaten Berufs- und Arbeitsordnung und ist hier vornehmlich darauf gerichtet, die eigenpersönliche, selbstbestimmte Lebensgestaltung abzuschirmen, also Freiheit von Zwängen oder Verboten im Zusammenhang mit Wahl und Ausübung des Berufes zu gewährleisten. Demgegenüber zielt die freie Wahl der Ausbildungsstätte ihrer Natur nach auf freien Zugang zu Einrichtungen; das Freiheitsrecht wäre ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos. Demgemäß geht der Entwurf für ein Hochschulrahmengesetz von der Berechtigung eines jeden Deutschen aus, das von ihm gewählte Hochschulstudium durchzuführen, wenn er die für dieses Studium erforderliche Qualifikation nachweist.

Die Anerkennung dieser Berechtigung steht nicht im Belieben des Gesetzgebers. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob "Teilhaberechte" in gewissem Umfang bereits daraus hergeleitet werden könnten, daß der soziale Rechtsstaat eine Garantenstellung für die Umsetzung des grundrechtlichen Wertsystems in die Verfassungswirklichkeit einnimmt<ref>(vgl. dazu BVerwGE 27, 360 zur Privatschulfinanzierung)</ref>. Selbst wenn grundsätzlich daran festzuhalten ist, daß es auch im modernen Sozialstaat der nicht einklagbaren Entscheidung des Gesetzgebers überlassen bleibt, ob und wieweit er im Rahmen der darreichenden Verwaltung Teilhaberechte gewähren will, so können sich doch, wenn der Staat gewisse Ausbildungseinrichtungen geschaffen hat, aus dem Gleichheitssatz in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip Ansprüche auf Zutritt zu diesen Einrichtungen ergeben. Das gilt besonders, wo der Staat - wie im Bereich des Hochschulwesens - ein faktisches, nicht beliebig aufgebbares Monopol für sich in Anspruch genommen hat und wo - wie im Bereich der Ausbildung zu akademischen Berufen - die Beteiligung an staatlichen Leistungen zugleich notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung von Grundrechten ist. Hier kann es in einem freiheitlichen Rechts- und Sozialstaat nicht mehr der freien Entscheidung der staatlichen Organe überlassen bleiben, den Kreis der Begünstigten nach ihrem Gutdünken abzugrenzen und einen Teil der Staatsbürger von den Vergünstigungen auszuschließen, zumal dies im Ergebnis auf eine Berufslenkung hinauslaufen würde. Hier folgt vielmehr daraus, daß der Staat Leistungen anbietet, ein Recht jedes hochschulreifen Staatsbürgers, an der damit gebotenen Lebenschance prinzipiell gleichberechtigt beteiligt zu werden. Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot gewährleistet also ein Recht des die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllenden Staatsbürgers auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl.

2. Nach verbreiteter Ansicht soll dieses Zulassungsrecht seiner Natur nach von vornherein und ausschließlich auf einen Anspruch auf Teilhabe an den vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten beschränkt sein. Demgegenüber geht das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Vorlagebeschluß von einer Pflicht zur Erweiterung der Ausbildungskapazität aus und folgert daraus, daß die Anordnung zumindest eines absoluten numerus clausus für Studienanfänger nur dann statthaft sei, wenn zugleich die Erfüllung jener Pflicht innerhalb bestimmter Fristen ausdrücklich gesetzlich anerkannt wird. Bei beiden Auffassungen kommen indessen Gesichtspunkte zu kurz, die für den Grundrechtsschutz im vorliegenden Zusammenhang wesentlich sind:

Die Problematik absoluter Zulassungsbeschränkungen ist dadurch gekennzeichnet, daß die vorhandene Kapazität nicht ausreicht, um jedem hochschulreifen Zulassungsberechtigten seinen Studienplatz zuzuteilen. Würde sich die verfassungsrechtliche Betrachtung von Anfang an auf die Teilhabe am Vorhandenen verengen, ginge sie daher am Kern der Schwierigkeiten vorbei. Während im Normalfall sozialstaatlicher Teilhabegewährung, nämlich bei finanziellen Begünstigungen, die nachteiligen Folgen einer Beschränkung auf vorhandene Mittel durch Umverteilung einigermaßen aufgefangen werden können, führt der absolute numerus clausus zu der krassen Ungleichheit, daß ein Teil der Bewerber alles und der andere Teil - zumindest für eine mehr oder weniger lange und für die weitere Lebensentscheidung möglicherweise ausschlaggebenden Dauer - nichts erhält. Übersteigt die Zahl der Abgewiesenen wie beim Medizinstudium sogar weit mehr als die Hälfte der Bewerber, dann droht der verfassungsrechtlich geschützte Zulassungsanspruch weitgehend leerzulaufen. Wegen dieser Auswirkungen ist nicht zu bestreiten, daß sich der absolute numerus clausus am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren bewegt. Da diesen Auswirkungen nachhaltig nur durch Erweiterung der Kapazitäten begegnet werden kann, ließe sich fragen, ob aus den grundrechtlichen Wertentscheidungen und der Inanspruchnahme des Ausbildungsmonopols ein objektiver sozialstaatlicher Verfassungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten für die verschiedenen Studienrichtungen folgt. Ob diese Frage zu bejahen wäre und ob sich aus diesem Verfassungsauftrag unter besonderen Voraussetzungen ein einklagbarer Individualanspruch des Staatsbürgers auf Schaffung von Studienplätzen herleiten ließe, bedarf jedoch hier keiner Entscheidung. Denn verfassungsrechtliche Konsequenzen kämen erst bei evidenter Verletzung jenes Verfassungsauftrages in Betracht. Eine solche läßt sich namentlich für den Bereich des Medizinstudiums derzeit nicht feststellen:

Auch soweit Teilhaberechte nicht von vornherein auf das jeweils Vorhandene beschränkt sind, stehen sie doch unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Dies hat in erster Linie der Gesetzgeber in eigener Verantwortung zu beurteilen, der bei seiner Haushaltswirtschaft auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 109 Abs. 2 GG den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat. Ihm obliegt auch die Entscheidung über Umfang und Prioritäten des Hochschulausbaus, wobei zu beachten ist, daß Ausbau und Neubau von Hochschulen gemäß Art. 91a GG zu den im Zusammenwirken von Bund und Ländern zu erfüllenden Gemeinschaftsaufgaben gehören. Bei diesen Entscheidungen werden sich die zuständigen Organe einerseits an erkennbaren Tendenzen der Nachfrage nach Studienplätzen zu orientieren haben, da eine ausschließliche Ausrichtung an den ohnehin schwierigen Bedarfsermittlungen auf eine unzulässige Berufslenkung und Bedürfnisprüfung hinauslaufen könnte, bei der die Bedeutung freier Selbstbestimmung als konstitutivem Element einer freiheitlichen Ordnung verkürzt würde. Andererseits verpflichtet ein etwaiger Verfassungsauftrag aber nicht dazu, für jeden Bewerber zu jeder Zeit den von ihm gewünschten Studienplatz bereitzustellen und auf diese Weise die aufwendigen Investitionen im Hochschulbereich ausschließlich von der häufig fluktuierenden und durch mannigfache Faktoren beeinflußbaren individuellen Nachfrage abhängig zu machen. Das liefe auf ein Mißverständnis von Freiheit hinaus, bei dem verkannt würde, daß sich persönliche Freiheit auf die Dauer nicht losgelöst von Funktionsfähigkeit und Gleichgewicht des Ganzen verwirklichen läßt und daß ein unbegrenztes subjektives Anspruchsdenken auf Kosten der Allgemeinheit unvereinbar mit dem Sozialstaatsgedanken ist. Das Grundgesetz hat - wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt im Zusammenhang mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit hervorgehoben hat<ref>(vgl. BVerfGE 4, 7 [15]; 8, 274 [329]; 27, 344 [351])</ref> - die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden; der Einzelne muß sich daher diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des allgemein Zumutbaren vorsieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt. Diese Erwägungen beanspruchen erst recht im Bereich staatlicher Teilhabegewährung Geltung. Hier würde es dem Gebot sozialer Gerechtigkeit, das sich im Gleichheitssatz konkretisiert, geradezu zuwiderlaufen, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel unter Vernachlässigung anderer wichtiger Gemeinschaftsbelange bevorzugt einem privilegierten Teil der Bevölkerung zugute kommen zu lassen. Dem Gesetzgeber kann es daher nicht verwehrt sein, sich auch am vordringlichen Kräftebedarf für die verschiedenen Berufe zu orientieren, sofern es nicht gelingt, individuelle Nachfrage und gesamtgesellschaftlichen Bedarf durch das Mittel der Studienberatung in Deckung zu bringen.<ref>BVerfG, Urteil vom 18.07.1972 - 1 BvL 32/70; 1 BvL 25/71 Abs. 66 bis 70 = BVerfGE 33, 303 - Numerus clausus I</ref>

Steuerrecht

"Der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht, daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Die Besteuerungsgleichheit hat mithin als ihre Komponenten die Gleichheit der normativen Steuerpflicht ebenso wie die Gleichheit bei deren Durchsetzung in der Steuererhebung. Daraus folgt, daß das materielle Steuergesetz in ein normatives Umfeld eingebettet sein muß, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet. Hängt die Festsetzung einer Steuer von der Erklärung des Steuerschuldners ab, werden erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit des Steuerpflichtigen gestellt. Der Gesetzgeber muß die Steuerehrlichkeit deshalb durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip. Gesamtwirtschaftliche Gründe können einen Verzicht des Gesetzgebers auf eine hinreichende Kontrolle der im Veranlagungsverfahren abgegebenen Erklärungen des Steuerpflichtigen verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Wirkt sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, daß der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und liegen die Voraussetzungen dafür vor, daß dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, so führt die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Steuernorm."<ref>BVerfG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89 Amtliche Leitsätze 1 bis 4</ref>

Defizitausgleich für Kindergarten

"Aus Art. 3 I GG kann ein Rechtsanspruch auf Defizitausgleich nur erwachsen, wenn bereits ein anderer freier Träger von der Gemeinde einen entsprechenden Ausgleich erhält."<ref>BayVGH, Urteil v. 23.10.2013 – 12 BV 13.650 Amtliche Leitsatz 3</ref>

Gleichbehandlung (Vergabegrundsatz)

Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind nach GWB § 97 Abs. 2 gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes<ref>Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)</ref> ausdrücklich geboten oder gestattet. Ausnahmen finden sich etwa in GWB § 97 Abs. 4 Satz 1 (Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen.) sowie GWB § 118<ref>Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind.</ref>.

Rechtsetzungsgleichheit

Keine Gleichheit im Unrecht

"Schließlich ist zu bedenken, daß es keine "Gleichheit im Unrecht" gibt. Eine strafrechtliche Norm kann grundsätzlich nicht deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil bestimmte besonders gelagerte Sachverhalte, die einen entsprechenden Unrechtsgehalt aufweisen, von ihr nicht erfaßt werden. Ebensowenig, wie ein Straftäter seine Straflosigkeit mit dem Hinweis darauf fordern kann, daß andere Gesetzesbrecher nicht verfolgt worden sind<ref>(BVerfGE 9, 213 [223])</ref>, ist es durch den Gleichheitssatz geboten, an sich strafwürdige und zu Recht mit Strafe bedrohte Handlungen deswegen straffrei zu lassen, weil bestimmte andere, möglicherweise gleich zu bewertende Verhaltensweisen von der Strafvorschrift nicht erfaßt werden. Zwar mag eine Grenze dort liegen, wo willkürlich nur eine Minderheit des strafwürdigen Verhaltens herausgegriffen und mit Strafe bedroht wird. Dies ist jedoch bei der Tatbestandsgestaltung des § 170b StGB nicht der Fall."<ref>BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvL 25/77 Abs. 55</ref>

Rechtsschutzbedürfnis

"Der Verfassungsbeschwerde fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.

1. Das Bundessozialgericht ist der Meinung, es komme für die Entscheidung des Rechtsstreites nicht auf die Verfassungsmäßigkeit des § 82 Abs. 3 AVG an. Denn ein etwaiger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<ref>(BVerfGE 8, 28 [Leitsatz 3 und S. 36])</ref> nur dazu führen, daß das Bundesverfassungsgericht die Norm für nichtig erkläre oder feststelle, daß die Nichtberücksichtigung der Waisen verfassungswidrig sei; damit würde jedoch noch keine Grundlage für den Klageanspruch geschaffen.

Hieran ist richtig, daß der verfassungsrechtliche Angriff der Beschwerdeführerin sich nicht gegen die Gültigkeit der Norm schlechthin richtet. Die Beschwerdeführerin hält zwar die gesetzliche Regelung in der derzeitigen Form für verfassungswidrig, der Verfassungsverstoß soll jedoch gerade nicht in der positiven Regelung des Gesetzes (Gewährung eines Beitragserstattungsanspruches an Witwen) liegen, sondern in der Unvollständigkeit der Regelung, nämlich darin, daß der Gesetzgeber nicht auch den Waisen einen solchen Anspruch einräumt. Das Begehren der Verfassungsbeschwerde ist also nicht auf die Nichtigkeit der genannten Vorschrift im ganzen gerichtet - damit würde jede Grundlage für den Klageanspruch entfallen -, sondern (positiv ausgedrückt) auf die Ausdehnung der Regelung auf die Waisen oder (negativ ausgedrückt) auf die Nichtigerklärung des Ausschlusses der Waisen von der gesetzlichen Vergünstigung oder jedenfalls auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Ausschlusses mit dem Ziel ihrer nachfolgenden Einbeziehung durch den Gesetzgeber.

2. Die Zulässigkeit verfassungsrechtlicher Angriffe gegen solche "Gesetzeslücken" unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG, besonders dagegen, daß die bestimmten Gruppen zuerkannten Leistungen oder Vergünstigungen trotz angeblich gleichliegenden Sachverhalts nicht auch einer anderen Personengruppe gewährt werden, kann zunächst nicht davon abhängen, auf welche Weise der Wille des Gesetzgebers Ausdruck gefunden hat. Ergibt sich der behauptete Verfassungsverstoß daraus, daß der Gesetzgeber die betroffene Gruppe ausdrücklich ausgeschlossen hat, so bereitet gesetzestechnisch die Zulässigkeit keine Schwierigkeiten, weil ohne weiteres die Möglichkeit besteht, den Verfassungsverstoß dadurch zu beseitigen, daß die Ausschlußvorschrift oder die einschränkenden Satzteile oder Worte für nichtig erklärt werden<ref>(vgl. BVerfGE 6, 273 [274]; 22, 163 [164])</ref> mit der Folge, daß die Vergünstigung nunmehr auch der zunächst ausgeschlossenen Gruppe zugute kommt. Liegt dagegen der angebliche Verfassungsverstoß in einem Schweigen des Gesetzgebers - nämlich darin, daß die begünstigende Regelung die benachteiligte Gruppe überhaupt nicht erwähnt und nach Wortlaut und Sinn auch keine entsprechende Anwendung auf sie zuläßt -, so ist es gesetzestechnisch nicht möglich, eine solche Lücke für nichtig zu erklären<ref>(vgl. BVerfGE 18, 288 [301])</ref>; die Einbeziehung der benachteiligten Gruppe kann also durch eine Nichtigerklärung oder Teilnichtigerklärung der gesetzlichen Regelung nicht erreicht werden. Das Bundesverfassungsgericht kann daher, wenn es den Verfassungsverstoß als gegeben ansieht und dem Anliegen des Beschwerdeführers entsprechen will, im Entscheidungssatz nur aussprechen, daß die bestehende gesetzliche Regelung Art. 3 Abs. 1 GG dadurch verletzt, daß sie die betroffene Personengruppe nicht berücksichtigt; die Einbeziehung der Gruppe in die begünstigende Regelung bleibt dann Sache des Gesetzgebers.

Die Möglichkeit einer solchen Feststellung reicht aber aus, um die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu begründen, wenngleich in diesem Falle dem Gebot des § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG nicht entsprochen werden kann. Nach § 95 Abs. 1 BVerfGG ist in der stattgebenden Entscheidung festzustellen, durch welche Handlung oder Unterlassung das Grundgesetz verletzt wurde. Gegenüber diesem allgemeinen Grundsatz, der nach seinem Wortlaut auch die bezeichneten Fälle einer "Gesetzeslücke" umfaßt, muß § 95 Abs. 3 BVerfGG, der eine den Normalfall betreffende nähere Regelung zu Abs. 1 enthält, zurücktreten, wenn nach der Lage des Falles eine Nichtigerklärung nicht möglich ist oder dem berechtigten Anliegen des Beschwerdeführers nicht Rechnung tragen würde<ref>(vgl. BVerfGE 13, 248 [260 f.])</ref>.

3. Eine Nichtigerklärung der gesetzlichen Regelung kann aber auch aus materiellen Gründen ausscheiden, und zwar selbst dann, wenn sie gesetzestechnisch möglich wäre. In den bezeichneten Fällen kann ein Verstoß des Gesetzgebers gegen Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig auf verschiedene Weise geheilt werden: Entweder wird die übergangene Gruppe in die gesetzliche Vergünstigung einbezogen, oder die Vergünstigung wird überhaupt beseitigt, oder der Kreis der Begünstigten wird nach anderen, dem Art. 3 Abs. 1 GG entsprechenden Merkmalen abgegrenzt. Welche dieser Möglichkeiten im konkreten Fall gewählt werden soll, muß grundsätzlich der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen bleiben, zumal ihm bei begünstigenden Regelungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG ein weiter Ermessensspielraum zusteht<ref>(vgl. BVerfGE 11, 50 [60]; 12, 151 [166]; 17, 210 [216])</ref>. Das Bundesverfassungsgericht darf daher bei Feststellung des Verfassungsverstoßes nicht selbst die verletzte Gleichheit wiederherstellen, indem es die gesetzliche Vergünstigung auf die übergangene Personengruppe ausdehnt, weil es damit der Entscheidung des Gesetzgebers vorgreifen würde. Etwas anderes gilt nur, wenn mit Rücksicht auf einen zwingenden Verfassungsauftrag oder nach den sonstigen Umständen des Einzelfalles nur diese eine Möglichkeit zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes in Betracht kommt<ref>(vgl. BVerfGE 17, 148 [152 f.]; 22, 163 [174 f.])</ref>.

Im vorliegenden Fall ist - wie die Bundesregierung und die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung zutreffend ausführen - nicht mit Sicherheit anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei Kenntnis eines etwaigen Gleichheitsverstoßes auch den Waisen den Anspruch auf Beitragserstattung gewährt hätte oder gewähren würde. Vielmehr ist nicht ausgeschlossen, daß er in diesem Fall auf die Regelung ganz verzichtet oder daß er den Kreis der Begünstigten anders abgegrenzt hätte, indem er etwa an unterhalts- oder erbrechtliche Beziehungen oder an die Hausgemeinschaft mit dem verstorbenen Versicherten anknüpfte.

Die durch den Grundsatz der Gewaltenteilung und die Funktion des Bundesverfassungsgerichts gebotene Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber darf das Bundesverfassungsgericht nicht daran hindern, gesetzliche Regelungen der genannten Art auf Verfassungsverstöße zu prüfen; sie verlangt nur, daß das Bundesverfassungsgericht durch seinen Spruch nicht in die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers eingreift. Ergibt seine Prüfung einen Gleichheitsverstoß, so muß es sich mit der Feststellung des Verstoßes begnügen, falls mehrere Möglichkeiten zu seiner Beseitigung bestehen. Zwar gibt die bloße Feststellung, daß die gesetzliche Regelung in der bestehenden Form verfassungswidrig ist, dem Beschwerdeführer noch keine Rechtsgrundlage für den im Ausgangsverfahren geltend gemachten Anspruch. Sie eröffnet ihm aber immerhin die Chance, daß der Gesetzgeber bei der Herstellung der verletzten Gleichheit auch die bisher übergangene Gruppe ganz oder zum Teil einbezieht. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde - wie im vorliegenden Fall - nur mittelbar gegen das nach Ansicht des Beschwerdeführers lückenhafte Gesetz, unmittelbar aber gegen gerichtliche Entscheidungen, die seinen Anspruch auf Beteiligung an der begünstigenden Regelung ablehnen, so werden, wenn die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat, zugleich mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes auch die gerichtlichen Entscheidungen aufgehoben; denn sie "beruhen" in einem weiteren Sinn auf der verfassungswidrigen gesetzlichen Regelung, indem sie deren Konsequenzen in einem Einzelfall bestätigen. Freilich müssen die Gerichte, an die die Sache vom Bundesverfassungsgericht zurückverwiesen wird, das Verfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber tätig geworden ist. Hierdurch wird dem Beschwerdeführer jedoch die Chance offengehalten, an einer etwaigen Erweiterung der begünstigenden Regelung durch den Gesetzgeber teilzuhaben, ohne daß ihm die Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils entgegengehalten werden kann<ref>(vgl. BVerfGE 15, 46 [76 f.])</ref>.

Der Beschwerdeführer hat also die Möglichkeit, durch seine Verfassungsbeschwerde eine Entwicklung in Gang zu setzen, die im weiteren Verlaufe dazu führen kann, daß die fehlerhafte gesetzliche Regelung, die sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz beeinträchtigt, zu seinen Gunsten geändert wird. Dies genügt, um das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen."<ref>Vorlage:BVerfG 1 BvR 515/63 Abs. 26-34</ref>

Prüfungsaufbau

Persönlicher Schutzbereich

Gleich-/ Ungleichbehandlung<ref>Zum Prüfungsaufbau siehe Seite „Gleichheitssatz“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 29. Dezember 2015, 17:58 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gleichheitssatz&oldid=149580567 (Abgerufen: 1. März 2016, 15:36 UTC)</ref>

Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem

Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem

Generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen
  • "Bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie insbesondere auch im Steuerrecht und in der Steuerverwaltung auftreten, braucht der Gesetzgeber außerdem nicht um die Gleichbehandlung aller denkbaren Einzelfälle besorgt zu sein. Er ist hier vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt<ref>(vgl. BVerfGE 11, 245 [254]; 78, 214 [227])</ref>. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen <ref>vgl. BVerfGE 11,BVerfGE 84, 348 (359) BVerfGE 84, 348 (360)245 [254]; 17, 1 [23]; 21, 12 [27]; 26, 265 [275 f.]; 63, 119 [128]; 71, 146 [157]; st. Rspr.)</ref>. Die Typisierung setzt allerdings voraus, daß die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären; hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht<ref>(vgl. BVerfGE 63, 119 [128] m.w.N.; st. Rspr.)</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 - 1 BvL 50/86 Abs.38</ref>
  • "Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten<ref>(BVerfGE 55, 72, 88)</ref>. Die rechtliche Unterscheidung muß also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen braucht der Gesetzgeber allerdings nicht um die differenzierende Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt zu sein. Er ist vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt<ref>vgl. BVerfGE 11, 245, 254; 78, 214, 227</ref>. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Die Typisierung setzt allerdings voraus, daß die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären; hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht<ref>vgl. BVerfGE 84, 348 [360] m.w.N.; st. Rspr.</ref>. Außerdem kann sich eine Einschränkung der dem Gesetzgeber danach zustehenden Gestaltungsfreiheit aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Differenziert der Gesetzgeber zum Nachteil von Ehe und Familie, so ist der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art. 6 Abs. 1 GG der Ehe und der Familie schuldet<ref>vgl. BVerfGE 18, 257, 269; 67, 186, 195 f.."</ref><ref>BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 Abs. 78</ref>
Generalisierung
Typisierung
  • Siehe Volker Epping, Grundrechte (eBook), Springer Verlag Berlin, 6. Aufl. 2015, ISBN 9783642546587 Pos. 11606
Pauschalierung
  • Siehe Volker Epping, Grundrechte (eBook), Springer Verlag Berlin, 6. Aufl. 2015, ISBN 9783642546587 Pos. 11606

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung<ref>Zum Prüfungsaufbau siehe Seite „Gleichheitssatz“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 29. Dezember 2015, 17:58 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gleichheitssatz&oldid=149580567 (Abgerufen: 1. März 2016, 15:36 UTC)</ref>

GG Art. 3 "gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten<ref>(vgl. BVerfGE 22, 387 [415]; 52, 277 [280])</ref>. Diesen Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht namentlich im Zusammenhang mit Versuchen hervorgehoben, aus einem Gesetzeswerk eine den Gesetzgeber bindende Sachgesetzlichkeit herzuleiten und eine Systemwidrigkeit als Verletzung des Gleichheitssatzes zu beanstanden<ref>(BVerfGE 34, 103 [105])</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 - 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79 Abs. 61</ref>

"Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln<ref>(vgl. BVerfGE 98, 365 [385]; stRspr)</ref>. Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen<ref>(vgl. BVerfGE 79, 1 [17]; 126, 400 [416] m.w.N.). Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Ausschluss (vgl. BVerfGE 93, 386 [396]; 105, 73 [110 ff., 133]), bei dem eine Begünstigung dem einem Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 110, 412 [431]; 112, 164 [174]; 126, 400 [416] m.w.N.)</ref>.

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können<ref>(vgl. BVerfGE 117, 1 [30]; 122, 1 [23]; 126, 400 [416] m.w.N.)</ref>. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist<ref>(vgl. BVerfGE 124, 199 [220])</ref>. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können<ref>(vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; 88, 87 [97]; 93, 386 [397]; 99, 367 [389]; 105, 73 [110]; 107, 27 [46]; 110, 412 [432])</ref>.

Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen<ref>(vgl. BVerfGE 75, 108 [157]; 93, 319 [348 f.]; 107, 27 [46]; 126, 400 [416] m.w.N.)</ref>. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind<ref>(vgl. BVerfGE 88, 87 [96])</ref> oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern<ref>(vgl. BVerfGE 124, 199 [220])</ref>. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]). Im Übrigen hängt das Maß der Bindung unter anderem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird<ref>(vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; 127, 263 [280])</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07 Abs. 67-69</ref>

Willkürverbot

"Außerhalb des Verbots einer ungerechtfertigten Verschiedenbehandlung mehrerer Personengruppen läßt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte und das Verhalten einer Person je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Es ist dann grundsätzlich Sache des Betroffenen, sich auf diese Regelung einzustellen und nachteiligen Auswirkungen durch eigenes Verhalten zu begegnen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich allerdings der Gleichheitssatz nicht in dem Verbot einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Normadressaten. Vielmehr kommt in ihm ein Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck, das nicht nur der Rechtsprechung, sondern auch der Gesetzgebung gewisse äußerste Grenzen setzt. Diese Grenze wird dann überschritten, wenn eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch die Gerichte bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht<ref>(BVerfGE 42, 64 [72 ff.]; Beschluß vom 29. April 1980 - 2 BvR 1441/ 79 - [EuGRZ 1980, S. 377] zur Anwendung von Präklusionsvorschriften)</ref>. Der Gesetzgeber seinerseits handelt nicht schon dann willkürlich, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat, vielmehr nur dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden läßt; dabei genügt Willkür im objektiven Sinn, d. h. die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand<ref>(BVerfGE 4, 144 [155]; 36, 174 [187])</ref>. Diese Kriterien gelten auch und gerade für die Beurteilung gesetzlicher Differenzierungen bei der Regelung von Sachverhalten; hier endet der Spielraum des Gesetzgebers erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt<ref>(BVerfGE 9, 334 [337])</ref>. Eine derartige Willkür kann einer gesetzlichen Regelung nach ständiger Rechtsprechung aber nur dann vorgeworfen werden, wenn ihre Unsachlichkeit evident ist<ref>(BVerfGE 12, 326 [333]; 23, 135 [143])</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 - 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79 Abs. 63 und 64</ref>

Weitere Anforderungen

"Ungleichbehandlungen dürfen in Deutschland aufgrund des GG Art. 3 nur vorgenommen werden, wenn

Legitimer Zweck
Eignung zur Erreichung des Zwecks
Erforderlichkeit
Verhältnismäßigkeit/Angemessenheit

Besondere Kontrolldichte

Personenbezogene Differenzierungen<ref>Quelle: Seite „Gleichheitssatz“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 2. März 2016, 16:08 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gleichheitssatz&oldid=152108329 (Abgerufen: 10. März 2016, 21:34 UTC) </ref>

Normen

EU

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Deutschland

Grundgesetz (GG)

  • GG Art. 3 Abs. 1: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
  • GG Art. 3 Abs. 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
  • GG Art. 3 Abs. 3: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
  • GG Art. 33 Abs. 2: Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten)

Verfassung des Freistaates Bayern (BV)

Frankreich

Rechtsprechung

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Bayerischer Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH)

  • BayVerfGH, Entscheidung v. 01.02.2016 – Vf 75-VI/14 - Übernahme des Defizits eines kirchlichen Kindergartens: "1. Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen behördliche und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, in denen die Übernahme des Defizits eines kirchlichen Kindergartens durch die Kommune abgelehnt wurde. 2. Inzidente Überprüfung der Regelungen zur Betriebskostenförderung von Kindertageseinrichtungen in Art. 18 ff. BayKiBiG am Maßstab des Gleichheitssatzes (Art. 118 Abs. 1 BV)."<ref>Amtlicher Leitsatz</ref>

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH)

  • BayVGH, Urteil v. 23.10.2013 – 12 BV 13.650 - Defizitübernahme Kindergarten: "1. Hat der Landesgesetzgeber - wie der Freistaat Bayern mit dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz - eine eigenständige und umfassende Finanzierungsregelung zu den Personalausgaben und zur Investitionsförderung bei Kindertageseinrichtungen getroffen, so kommt daneben eine unmittelbare (parallele) Anwendung der in § 74 SGB VIII bundesgesetzlich normierten Grundsätze für eine Förderung der Träger der Freien Jugendhilfe nicht (mehr) in Betracht (§ 74a SGB VIII); ein ergänzender bundesrechtlicher Finanzierungsanspruch freier Träger aus § 74 I, II SGB VIII neben - abschließenden - landesgesetzlichen Finanzierungsregelungen scheidet deshalb von vornherein aus (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 21.1.2010 - 5 CN 1/09). 2. Aus Art. 3 I GG kann ein Rechtsanspruch auf Defizitausgleich nur erwachsen, wenn bereits ein anderer freier Träger von der Gemeinde einen entsprechenden Ausgleich erhält. 3. Dem Interesse freigemeinnütziger Träger an einer Defizitübernahme ist derzeit lediglich durch Anerkennung eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen allgemeiner Grundsätze der Vergabe kommunaler Fördermittel (Art. 7 II 1, 57 I 1 BayGO) Rechnung getragen. Die Schaffung eines generellen Rechtsanspruchs auf Defizitausgleich bedarf eines entsprechenden Tätigwerdens des Landesgesetzgebers. 4. Ein Förderanspruch freier Träger auf der Grundlage einer Ermessensreduzierung auf Null kommt nur dann in Betracht, wenn der weitere Betrieb einer Einrichtung - etwa unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung eines pluralen Angebots - konkret gefährdet wäre und andere zumutbare Wege der Eigenfinanzierung - beispielsweise eine Beitragserhöhung - ausgeschöpft sind. In einem solchen Fall wird sich regelmäßig zugleich auch die Gewährleistungsverantwortung (Art. 5 III BayKiBiG iVm § 79 II SGB VIII) des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (Landkreis) aktualisieren."<ref>Amtliche Leitsätze</ref>
  • BayVGH, Beschluss vom 11.09.1981 - 4 CE 81 A.1921 = NVwZ 1982, 120 = BayVBl 1982, 656 - Zulassung zum Oktoberfest

Verwaltungsgerichte

Publikationen

Lehrbücher

  • Volker Epping, Grundrechte (eBook), Springer Verlag Berlin, 6. Aufl. 2015, ISBN 9783642546587 Pos. 11396

Fachaufsätze

Zitate

  • "Lasst uns immer für die Freiheit, für den Frieden, für soziale Gerechtigkeit kämpfen. Freiheit ohne soziale Gerechtigkeit ist nichts als eine brüchige Errungenschaft, die für viele nur in die Freiheit, vor Hunger zu sterben, führt." (Sandro Pertini, Rede zum Jahreswechsel, 31. Dezember 1983)

Links

Siehe auch

Fußnoten

<references/>