Bürgerentscheid
Die Gemeindebürger können nach GO Art. 18a Abs. 1 über Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren). Auch der Gemeinderat kann nach GO Art. 18a Abs. 2 beschliessen, dass über eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde ein Bürgerentscheid stattfindet.
Ausschlüsse
Ein Bürgerentscheid findet nach GO Art. 18a Abs. 3 nicht statt über
- Angelegenheiten, die kraft Gesetz dem ersten Bürgermeister obliegen: Die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters kraft Gesetzes ergibt sich aus GO Art. 37 Abs. 1 und Abs. 4. Nicht erfasst sind jedoch die Fälle, in welchen der Gemeinderat dem ersten Bürgermeister durch die Geschäftsordnung weitere Angelegenheiten zur selbständigen Erledigung übertragen hat (GO Art. 37 Abs. 2). Hier handelt es sich um keine Zuständigkeit kraft Gesetzes.
- über Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung: Die innere Organisation der Gemeindeverwaltung ist u.a. in GO Art. 46 Abs. 1 Satz 2 (Geschäftsverteilung) geregelt.
- über die Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder, der Bürgermeister und der Gemeindebediensteten, und
- über die Haushaltssatzung, GO Art. 63.
Einzelfälle:
- Zulässig:
- Bürgerentscheid zur Tätigkeit des Bürgermeisters als ehrenamtliche Tätigkeit, BayVGH, Beschluss vom 02.01.1996 - 4 CE 95.4200 = BayVBl. 1996, 246
- Bürgerbegehren über Weisung des Stadtrats an den Verwaltungsrat eines Kommunalunternehmens, BayVGH, Urteil vom 21.03.2012 - 4 B 11.221
- Unzulässig:
- Bürgerbegehren zur Aufhebung einer Straßenausbaubeitragssatzung - Der BayVGH hat mit Urteil vom 10.03.1999 - 4 B 98.1349 - entschieden, daß ein Bürgerbegehren zur Aufhebung einer Straßenausbaubeitragssatzung unzulässig ist. KAG Art. 5 Abs. 1 Satz 3 habe grundsätzlich verbindlichen Charakter. Die Gemeinde sei zur Erhebung von Beiträgen verpflichtet. Ausbaumaßnahmen dürften nur in Ausnahmefällen vollständig aus allgemeinen Deckungsmitteln finanziert werden.<ref>http://www.bkpv.de/ver/pdf/mit11999/zusammenfassung/rd0499.pdf</ref>
- Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien: GO Art. 18a IV 1 verbietet nach einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs<ref>BayVGH, Urteil vom 25.07.2007 - 4 BV 06.1438 = BayVBl. 2008, 82</ref>die Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in einem Bürgerbegehren.
- Verstoß gegen die allgemeinen Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Art. 61 GO, siehe hierzu BayVGH, Beschluss vom 19.03.2007 - 4 CE 07.416
Verfahren des Bürgerentscheids
Keine entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane
Ist die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, darf bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht mehr getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu bestanden (Art. 18a Abs. 9 GO).
3-Monats-Frist und Verlängerung
Der Bürgerentscheid ist an einem Sonntag innerhalb von drei Monaten nach der Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durchzuführen; der Gemeinderat kann die Frist im Einvernehmen mit den vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens um höchstens drei Monate verlängern.
Kosten
Die Kosten des Bürgerentscheids trägt die Gemeinde.
Stimmberechtigung
Stimmberechtigt ist jeder Gemeindebürger. Die Möglichkeit der brieflichen Abstimmung ist zu gewährleisten (GO Art. 18a Abs. 10).
Quorum
Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinn entschieden, in dem sie von der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Gemeinden bis zu 50.000 Einwohnern mindestens 20 v.H. der Stimmberechtigten beträgt (GO Art. 18a Abs. 11).
Stimmengleichheit
Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet.
Stichentscheid
Sollen an einem Tag mehrere Bürgerentscheide stattfinden, hat der Gemeinderat eine Stichfrage für den Fall zu beschließen, dass die gleichzeitig zur Abstimmung gestellten Fragen in einer miteinander nicht zu vereinbarenden Weise beantwortet werden (Stichentscheid). Es gilt dann diejenige Entscheidung, für die sich im Stichentscheid die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen ausspricht. Bei Stimmengleichheit im Stichentscheid gilt der Bürgerentscheid, dessen Frage mit der höchsten Stimmenzahl mehrheitlich beantwortet worden ist. (Art. 18a Abs. 12 GO).
Wirkung
Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Beschlusses des Gemeinderats. Der Bürgerentscheid kann innerhalb eines Jahres nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden, es sei denn, dass sich die dem Bürgerentscheid zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage wesentlich geändert hat (GO Art. 18a Abs. 13).
Abwendung des Bürgerschtescheids
Der Bürgerentscheid entfällt, wenn der Gemeinderat die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt. Für einen Beschluss nach Satz 1 gilt die Bindungswirkung des Absatzes 13 Satz 2 entsprechend. (GO Art. 18a Abs. 14)
Informationsgrundsätze
Die im Gemeinderat und die von den vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerentscheids dürfen in Veröffentlichungen und Veranstaltungen der Gemeinde nur in gleichem Umfang dargestellt werden. Zur Information der Bürgerinnen und Bürger werden von der Gemeinde den Beteiligten die gleichen Möglichkeiten wie bei Gemeinderatswahlen eröffnet. (GO Art. 18a Abs. 15)
Bekanntmachung
Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist nach GO Art. 18a Abs. 16 in der Gemeinde in der ortsüblichen Weise bekanntzumachen.
Satzungsbefugnis
Die Gemeinden können das Nähere durch Satzung regeln.
Recht auf freies Unterschriftensammeln
Das Recht auf freies Unterschriftensammeln darf nicht eingeschränkt werden. (GO Art. 18a Abs. 17)
Nichtanwendbarkeit des Art. 3a BayVwVfG
Art. 3a des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes findet keine Anwendung. (GO Art. 18a Abs. 18)
Kein Klagerecht
Weder die Vertreter eines Bürgerbegehrens noch andere Gemeindebürger haben ein Klagerecht gegen das Ergebnis des Bürgerentscheids<ref>BayVGH, Urteil vom 02.07.2002 - 4 B 00.3532</ref>.
Normen
Verfassung des Freistaates Bayern (BV)
- BV Art. 7 Abs. 2: Der Staatsbürger übt seine Rechte aus durch Teilnahme an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden.
- BV Art. 12 Abs. 3: Die Staatsbürger haben das Recht, Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden und Landkreise durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid zu regeln. Das Nähere regelt ein Gesetz.
Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung - GO)
- GO Art. 18a Abs. 9-18
Rechtsprechung
Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
- BVerfG, Beschluss vom 29.05.2007 - 2 BvR 695/07 - Verfassungsbeschwerde der Stadt Dresden in Sachen "Waldschlösschenbrücke" ohne Erfolg
Oberverwaltungsgerichte
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH)
- BayVGH, Urteil vom 25.07.2007 - 4 BV 06.1438 = BayVBl. 2008, 82 - Unzulässigkeit der Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in einem Bürgerbegehren.
- BayVGH, Urteil vom 02.07.2002 - 4 B 00.3532 - Kein Klagerecht nach Bürgerentscheid
- BayVGH, Beschluss vom 02.01.1996 - 4 CE 95.4200 = BayVBl. 1996, 246 - Bürgerentscheid zur Tätigkeit des Bürgermeisters als ehrenamtliche Tätigkeit
VGH Hessen
- HessVGH, Beschluss vom 25.06.2004 - 8 TG 1169/04 Keine Geltung des Neutralitätsgebots bei Bürgerentscheid
Verwaltungsgerichte
- VG Regensburg, Bechluss vom 15.11.2010 - RN 3 E 10.2036: „Die Antragsteller haben auch als Gemeindebürger, die an der Abstimmung über das Bürgerbegehren "Mobilfunkanlage" teilgenommen haben, kein subjektives Recht auf Erhebung einer Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid durch die Antragsgegnerin. Einem Gemeindebürger steht keine Befugnis zu, den Vollzug eines Bürgerentscheids gerichtlich geltend zu machen. Ein solcher hat gemäß Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses. In kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeiten ist anerkannt, dass Gemeinderatsmitgliedern subjektive Rechte nur zustehen, soweit sie ihnen gesetzlich eingeräumt werden. Ein darüber hinausgehendes Recht eines Gemeinderatsmitglieds auf Vollzug eines Gemeinderatsbeschlusses besteht nicht. Dieses steht vielmehr nur dem Gemeinderat als Plenum zu. Da das Recht eines Gemeindebürgers am Vollzug eines Bürgerentscheids nicht weitergehen kann als das Recht eines Gemeinderatsmitglieds am Vollzug eines Gemeinderatsbeschlusses, ist eine Antragsbefugnis der Antragsteller als Gemeindebürger zu verneinen.“
Publikationen
- Franz Dirnberger / Andrea Gehler / Emil Schneider / Roland Wölfel, Praxiswissen für Kommunalpolitiker - Erfolgreich handeln als Gemeinde-, Stadt-, Kreis- und Bezirksrat, Jehle Verlag, 4. Auflage 2014, ISBN 9783782505475 Pos. 4092 (Teil 3 Ziffer 1.2)
Siehe auch
Fußnoten
<references />