Durchgriffshaftung

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"In der Rechtsprechung sind für einen direkten Haftungsdurchgriff der Gläubiger einer Kapitalgesellschaft gegen dahinterstehende Gesellschafter insbesondere Fälle in Betracht gezogen worden,

  • in denen der Alleingesellschafter den Eindruck persönlicher Haftung hervorruft<ref>vgl. BGHZ 22, 226</ref>,
  • in denen der Alleingesellschafter sein Privatvermögen mit dem Gesellschaftsvermögen vermischt<ref>OLG Karlsruhe DR 1943, 811; s. auch OLG Nürnberg WM 1955, 1566</ref>, oder
  • in denen der Gesellschafter die juristische Person vorschiebt, um Vorteile (Schmiergelder) empfangen und behalten zu können, die er, wenn er sie unmittelbar erlangte, seinem Auftraggeber nach § 667 BGB abführen müßte<ref>RG DR 1940, 580</ref>.

In BGHZ 54, 222, 224 hat der erkennende Senat die Haftung der Mitglieder einer Siedlungsgesellschaft (e.V.) für deren Pachtzinsschulden in einem Falle bejaht, in dem der Verein von Anfang an vermögenslos war und lediglich deshalb zwischen die Siedler und den Grundstückseigentümer eingeschaltet war, damit dieser die Pacht in einem Betrag erhielt und nicht mit den einzelnen Siedlern abzurechnen brauchte. Entgegen der Auffassung von Serick<ref>Rechtsform und Realität 1955</ref> hat der Bundesgerichtshof bei der Behandlung von - im einzelnen allerdings ganz unterschiedlich gelagerten - Durchgriffsproblemen weitgehend auf einen objektiven Mißbrauch der Rechtsform der Gesellschaft abgestellt und den Nachweis einer Mißbrauchsabsicht nicht verlangt<ref>vgl. BGHZ 20, 4, 13</ref>. Der erkennende Senat hat allerdings in dem Urteil vom 26. November 1957<ref>a.a.O. S. 462</ref> ausgesprochen, es müsse (dort: zum objektiv hervorgerufenen Rechtsschein) grundsätzlich ein subjektiver Gesichtspunkt hinzukommen, der das Verhalten des sich auf die Selbständigkeit der GmbH berufenden Gesellschafters als einen Verstoß gegen Treu und Glauben oder gegen die guten Sitten kennzeichne."<ref>BGH, Urteil vom 04.05.1977 - VIII ZR 298/75 = BGHZ 68, 312 Abs. 8</ref>

Nach Rechtsformen

Idealverein

Trennungsgrundsatz

Besteht ein Verein als juristische Person (e. V.) ist "aufgrund seiner Rechtsfähigkeit grundsätzlich eine strikte rechtliche Trennung der Vermögenssphären des eingetragenen Vereins und seiner Mitglieder gemäß BGB § 21 gewährleistet"<ref>Bamberger/Roth/Schwarz/Schöpflin, BGB § 21 Rdn. 17; Soergel/Hadding, BGB 13. Aufl. vor § 21 Rdn. 35</ref> (Trennungsgrundsatz).

"Regelmäßig haftet daher für Verbindlichkeiten eines eingetragenen Vereins nur dieser selbst und nicht die hinter ihm stehenden Vereinsmitglieder<ref>BGH, Urteil vom 10.12.2007 - II ZR 239/05 = BGHZ 175, 12, WM 2008, 358 Amtlicher Leitsatz 1</ref><ref>st. Rspr., vgl. nur BGHZ 54, 222, 224 m. w. Nachw.; 78, 318, 333</ref>. Nimmt dementsprechend die Eintragung den Mitgliedern das Haftungsrisiko für die Vereinsschulden ab, so reicht auch ein der Eintragung entsprechendes Auftreten als eingetragener Verein im Regelfall aus, um bei Dritten der Erwartung einer persönlichen Haftung der Mitglieder die Grundlage zu entziehen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Durchbrechung dieses Trennungsgrundsatzes nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen rechtsmissbräuchlich ist (sog. Durchgriffshaftung).<ref>BGH, Urteil vom 10.12.2007 - II ZR 239/05 = BGHZ 175, 12, WM 2008, 358 Amtlicher Leitsatz 2</ref> <ref>vgl. BGHZ 54, 222, 224 m. w. Nachw.; 78, 318, 333</ref>."<ref>BGH, Urteil vom 10.12.2007 - II ZR 239/05 = BGHZ 175, 12, WM 2008, 358 Abs. 21</ref>

Überschreitung des Nebenzweckprivilegs und Durchgriffshaftung?

Bei einer zweckwidrigen Überschreitung des Nebenzweckprivilegs durch wirtschaftliche Betätigung des eingetragenen Idealvereins sind die gesetzlichen Sanktionen der Amtslöschung gemäß §§ 159, 142 FGG und der behördlichen Entziehung der Rechtsfähigkeit nach BGB § 43 Abs. 2 sowie der durch sie bewirkte mittelbare Zwang zu dessen Auflösung oder Umwandlung nach derzeitiger Gesetzeslage grundsätzlich zum Schutz des Rechtsverkehrs ausreichend.<ref>BGH, Urteil vom 10.12.2007 - II ZR 239/05 = BGHZ 175, 12, WM 2008, 358 Amtlicher Leitsatz 3; soweit nicht ausnahmsweise eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Trennungsprinzips durch die Vereinsmitglieder (vgl. BGHZ 78, 318, 333) hinzukommt (vgl. auch K. Schmidt, JR 1987, 177, 178; ders. in Gedächtnisschrift R. Walz, 677, 680; Segna, Rpfleger 2006, 449, 454)</ref> Für die zusätzliche Sanktion einer (rückwirkenden) persönlichen Durchgriffshaftung der Mitglieder des eingetragenen Idealvereins wegen Duldung bzw. Nichtverhinderung einer Überschreitung des Nebenzweckprivilegs ist – schon wegen Fehlens einer regelungsbedürftigen Gesetzeslücke – kein Raum.<ref>BGH, Urteil vom 10.12.2007 - II ZR 239/05 = BGHZ 175, 12, WM 2008, 358 Amtlicher Leitsatz 4; Abs. 30: abl. auch: v. Hippel, NZG 2006, 537; K. Schmidt, ZIP aaO S. 605; Bamberger/Roth/Schwarz/Schöpflin aaO § 21 Rdn. 22; Schöpflin in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB 2. Aufl. § 21 Rdn. 8; offen gelassen bei: Palandt/Heinrichs/Ellenberger, BGB 67. Aufl. Einf. v. § 21 Rdn. 12; MünchKommBGB/Reuter, § 21 Rdn. 48; jurisPK-BGB/Otto § 22 Rdn. 41, die aber jeweils auf die kritische Urteilsanmerkung von v. Hippel verweisen</ref>

"Die gesetzlichen Sanktionen der Amtslöschung ... und der behördlichen Entziehung der Rechtsfähigkeit nach BGB § 43 Abs. 2 sowie der durch sie bewirkte mittelbare Zwang zur Auflösung oder Umwandlung des das Nebenzweckprivileg überschreitenden Idealvereins sind nach derzeitiger Gesetzeslage grundsätzlich - d.h., soweit nicht ausnahmsweise eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Trennungsprinzips durch die Vereinsmitglieder im oben beschriebenen Sinne<ref>vgl. BGHZ 78, 318, 333</ref> hinzukommt - zum Schutz des Rechtsverkehrs ausreichend<ref>vgl. auch K. Schmidt, JR aaO S. 178; ders. in Gedächtnisschrift R. Walz, 677, 680; Segna, Rpfleger 2006, 449, 454</ref>.

Angesichts dieser eindeutigen Gesetzeslage ist für den ... Versuch, im Wege einer Rechtsfortbildung die Duldung bzw. Nichtverhinderung einer Überschreitung des Nebenzweckprivilegs durch Vereinsmitglieder zusätzlich mit der Sanktion ihrer (rückwirkenden) persönlichen Haftung zu belegen, schon wegen Fehlens einer - regelungsbedürftigen - Gesetzeslücke kein Raum<ref>abl. auch: v. Hippel, NZG 2006, 537; K. Schmidt, ZIP aaO S. 605; Bamberger/Roth/Schwarz/Schöpflin aaO § 21 Rdn. 22; Schöpflin in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB 2. Aufl. § 21 Rdn. 8; offen gelassen bei: Palandt/Heinrichs/Ellenberger, BGB 67. Aufl. Einf. v. § 21 Rdn. 12; MünchKommBGB/Reuter, § 21 Rdn. 48; jurisPK-BGB/Otto § 22 Rdn. 41, die aber jeweils auf die kritische Urteilsanmerkung von v. Hippel verweisen</ref>. Überdies trifft die Ausgangsthese des Berufungsgerichts, es entspreche "allgemeinen korporationsrechtlichen Grundsätzen, dass die Mitglieder bzw. Gesellschafter einer Körperschaft grundlegenden strukturellen Fehlentwicklungen durch nachhaltige Maßnahmen entgegenzutreten haben und sie bei der Verletzung einer solchen Pflicht einer persönlichen Haftung unterworfen" sind, nicht zu; ein derartiger Durchgriffstatbestand ist dem geltenden Recht fremd<ref>so zutreffend: K. Schmidt, ZIP aaO S. 609; ders. Gedächtnisschrift aaO S. 687</ref>".<ref>BGH, Urteil vom 10.12.2007 - II ZR 239/05 = BGHZ 175, 12, WM 2008, 358 Abs. 26 f.</ref>

GmbH

Grundsatz

Nach GmbHG § 13 Abs. 2 haftet für Verbindlichkeiten einer GmbH nur das Gesellschaftsvermögen.

Ein-Mann-GmbH

Auch die Gläubiger einer Ein-Mann-GmbH können sich grundsätzlich nur an das Gesellschaftsvermögen und nicht an den alleinigen Gesellschafter halten, weil die GmbH, auch wenn sich alle Geschäftsanteile durch Abtretung in einer Hand vereinigen, juristische Person bleibt und daher nicht mit ihrem alleinigen Gesellschafter identisch ist<ref>RGZ 129, 53 m w Nachw; Beschluß des Senats vom 9.10.56 - II ZB 11/56 -, zum Abdruck vorgesehen</ref>. Die rechtliche Verschiedenheit der GmbH und ihres alleinigen Gesellschafters kann aber nicht ausnahmslos berücksichtigt werden. Das Reichsgericht hat schon in seinem Urteil vom 22.6.20<ref>Bd 99, 232 [234]</ref> ausgesprochen, daß die juristische Person und ihr Alleingesellschafter dann als eine Einheit behandelt werden müsse, wenn die Wirklichkeiten des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen es dem Richter gebieten, die personen- und vermögensrechtliche Selbständigkeit der GmbH und ihres alleinigen Gesellschafters hintanzusetzen<ref>ebenso RGZ 129, 53/54; ähnlich RGZ 103, 66</ref>. Der alleinige Gesellschafter ist der Gesellschaft da gleichgestellt worden, wo die Berufung auf die förmliche Verschiedenheit gegen Treu und Glauben verstößt (RGZ 169, 248). Insbesondere ist die Haftung des Gesellschafters für Schulden der Einmann-GmbH dann angenommen worden, wenn es sich als notwendig erwies, um einem mit der Gesellschaft in Rechtsbeziehungen getretenen Dritten zu der ihm nach Treu und Glauben zukommenden Leistung zu verhelfen<ref>RGZ 156, 277</ref>. Auch die Literatur steht auf dem Standpunkt, daß der alleinige Gesellschafter einer GmbH für deren Verbindlichkeiten ausnahmsweise dann mithaften muß, wenn der redliche Rechtsverkehr oder die Grundsätze von Treu und Glauben dies erfordern<ref>statt vieler: Schilling in Hachenburg GmbHG § 13 Anhang Anm. 4, 6; Siebert BB 1954, 417/18</ref>. Eine solche Ausnahme wird für den Fall angenommen, daß der Alleingesellschafter den Anschein persönlicher Haftung hervorruft<ref>RFH JW 1926, 1483</ref>, daß der Alleingesellschafter sein Privatvermögen mit dem Gesellschaftsvermögen vermischt<ref>OLG Karlsruhe DR 1943, 811</ref> oder daß der Gesellschafter die juristische Person vorschiebt; um Vorteile (Schmiergelder) empfangen und behalten zu können, die er, wenn er sie unmittelbar erlangte, seinem Auftraggeber nach § 667 BGB abführen müßte<ref>RG DR 1940, 580 = HRR 1940 Nr. 351</ref>. Reinhardt<ref>Festschrift für Heinrich Lehmann, S 576 ff</ref> will das Problem der Mithaftung des alleinigen Gesellschafters einer GmbH für Gesellschaftsschulden aus der Machtlage des Einmanngesellschafters, unter dem Gesichtspunkt des Organisationsfehlers und nach bestimmten wirtschaftlichen Ordnungsprinzipien gelöst wissen. Er meint, zu den Fällen einer Mithaft des Gesellschafters gehöre auch der Fall, daß eine mit einem unverhältnismäßig geringen Stammkapital ausgestattete GmbH zum Betriebe eines kapitalintensiven Unternehmens verwendet wird. Der Senat hat in seinem Urteil vom 30.1.56<ref>BGHZ 20, 4 [14]</ref> den Standpunkt vertreten, daß die Rechtsfigur der juristischen Person in dem Umfang keine Beachtung finden kann, in dem ihre Verwendung dem Zweck der Rechtsordnung widerspricht. Das hat auch für die Haftung des alleinigen Gesellschafters für Schulden der Einmann-Gesellschaft zu gelten."<ref>BGH, Urteil vom 29.11.1956 - II ZR 156/55 = BGHZ 22, 226 Abs. 14</ref><ref>Zur Durchgriffshaftung bei der GmbH siehe auch Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Auflage 2019, Verlag C.H. Beck, ISBN 9783406725005 Einf vor § 21 Rn. 12 f.</ref>

Kommunale Eigengesellschaft

Siehe Thomas Kuhl / Kersten Wagner, Das Insolvenzrisiko der Gläubiger kommunaler Eigengesellschaften, ZIP 1995, 433

Fallgruppen

Normen

Rechtsprechung

Bundesgerichtshof (BGH)

Bundesarbeitsgericht (BAG)

  • BAG, Urteil vom 03.09.1998 - 8 AZR 189/97: "Gründet der geschäftsführende Gesellschafter einer in finanzielle Schwierigkeiten geratenen OHG eine GmbH, auf die der Geschäftsbetrieb der OHG einschließlich der Arbeitsverhältnisse übertragen wird, haftet er bei einer späteren Insolvenz der GmbH nach BGB § 826 nicht, wenn die Insolvenz für ihn noch nicht absehbar war."<ref>Amtlicher Leitsatz</ref>

Oberlandesgerichte

  • {KG 7 U 77/07}}

Publikationen

Siehe auch

Fußnoten

<references/>