Verschwiegenheitspflicht (Gemeinde- und Kreisräte)

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Grundsatz

Stadträte haben nach GO Art. 20 Abs. 2 Satz 1 über die ihnen bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren; das gilt nicht für Mitteilungen im amtlichen Verkehr und über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.

Sie dürfen die Kenntnis der nach Satz 1 geheimzuhaltenden Angelegenheiten nicht unbefugt verwerten.(GO Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GO)

Ehrenamtlich tätige Personen dürfen ohne Genehmigung über Angelegenheiten, über die sie Verschwiegenheit zu bewahren haben, weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben. Über die Genehmigung entscheidet der erste Bürgermeister; im Übrigen gelten Art. 84 Abs. 3 und 4 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (GO Art. 20 Abs. 3).

Wer den Verpflichtungen der GO Art. 20 Absätze 1, 2 oder 3 Satz 1 schuldhaft zuwiderhandelt, kann im Einzelfall mit Ordnungsgeld bis zu zweihundertfünfzig Euro, bei unbefugter Offenbarung personenbezogener Daten bis zu fünfhundert Euro, belegt werden; die Verantwortlichkeit nach anderen gesetzlichen Vorschriften bleibt unberührt. Die Haftung gegenüber der Gemeinde richtet sich nach den für den ersten Bürgermeister geltenden Vorschriften und tritt nur ein, wenn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last liegt. Die Gemeinde stellt die Verantwortlichen von der Haftung frei, wenn sie von Dritten unmittelbar in Anspruch genommen werden und der Schaden weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verursacht worden ist. (GO Art. 20 Abs. 4)

GO Art. 20 hat drittschützenden Charakter und ist Schutzgesetz im Sinne des BGB § 823Abs. 2<ref>siehe Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Verlag C.H.Beck München, 23. ErgL, Stand Mai 2010, ISBN 9783406594984 Art. 20 Rn. 1</ref>. Die Verschwiegenheitspflicht gilt grundsätzlich auch gegenüber anderen Stadträten und Stadtbediensteten; es spielt dabei keine Rolle, dass diese selbst der Verschwiegenheit unterliegen<ref>siehe Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Verlag C.H.Beck München, 23. ErgL, Stand Mai 2010, ISBN 9783406594984, Art. 20 Rdnr. 3</ref>.

Ausnahmen

Das gilt nicht

Mitteilungen im amtlichen Verkehr

Hierbei handelt es sich z.B. um an sich geheim zu haltende Tatsachen, die jedoch für eine Antragstellung der Fraktion erforderlich sind und deshalb von einem Fraktionsmitglied gegenüber weiteren Fraktionsmitgliedern mitgeteilt werden. An einer entsprechenden Fraktionssitzung dürfen nur Fraktionsmitglieder oder entsprechend nach dem Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen verpflichtete Hilfspersonen teilnehmen<ref>Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Verlag C.H.Beck München, 23. ErgL, Stand Mai 2010, ISBN 9783406594984 Art. 20 Rdnr. 4</ref>. Auch Korrespondenz mit den zuständigen Sachbearbeitern in der Stadtverwaltung oder der Rechtsaufsicht stellen Mitteilungen im amtlichen Verkehr dar<ref>Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Verlag C.H.Beck München, 23. ErgL, Stand Mai 2010, ISBN 9783406594984 Art. 20 Rdnr. 4</ref>.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) trifft in einem Beschluss vom 20.04.2015<ref>BayVGH, Beschluss vom 20.04.2015 - 4 CS 15.381 = BayVBl. 2015, 630 Abs. 29 mit Verweis auf BayVGH, Urteil vom 23. März 1988 - 4 B 86.02994 = BayVBl 1989, 81; Prandl/Zimmermann/Büchner a.a.O., Art. 20 Rn. 4</ref> folgende Formulierung, die dafür spricht, dass auch Mitteilungen an die zuständige Rechtsaufsicht und bei Verdacht von Straftaten ggf. an die zuständige Staatsanwaltschaft als Mitteilungen im dienstlichen Verkehr gewertet werden können:

"Ein Mandatsträger, der die Behandlung einer Angelegenheit für rechtswidrig oder sogar für strafbar hält, darf ... im Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 2 GO nicht einfach die „Flucht in die Öffentlichkeit“ antreten, sondern muss sich vorrangig an die zuständige Kommunalaufsichts- oder Strafverfolgungsbehörde wenden<ref>BayVGH, Beschluss vom 20.04.2015 - 4 CS 15.381 = BayVBl. 2015, 630 Abs. 29 mit Verweis auf BayVGH, Urteil vom 23. März 1988 - 4 B 86.02994 = BayVBl 1989, 81; Prandl/Zimmermann/Büchner a.a.O., Art. 20 Rn. 4</ref>.

Offenkundigkeit

Die Pflicht zur Verschwiegenheit von Ratsmitgliedern entfällt ausnahmsweise dann, wenn die Geheimhaltung der Angelegenheit nicht mehr möglich ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn die fragliche Tatsache offenkundig ist.<ref>OVG NRW, Beschluss vom 7.4.2011 - 15 A 441/11; OVG NRW, Urteil vom 22.09.1965 - III A. 1360/63 - DÖV 1966, 504, 505</ref>

Offenkundig sind nach der Rechtsprechung des BGH nur solche Tatsachen, die

  • allgemein bekannt oder
  • jederzeit festellbar

sind, von denen also ein verständiger Mensch jederzeit durch Nutzung allgemein zugänglicher Informationsquellen ohne Aufwand Kenntnis erlangen kann<ref>vgl. BGH, Urteil vom 8.10.2002 - 1 StR 150/02 - BGHSt 48, 28 ff.; Dorn, in: Bader/Ronellenfitsch,VwVfG, 2010, § 84 Rn. 3.1.</ref>.

Presseberichte

Umstritten ist, ob und inwieweit Presseberichte die Verschwiegensheitspflicht beenden können<ref>dagegen: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Verlag C.H.Beck München, 23. ErgL, Stand Mai 2010, ISBN 9783406594984, Art. 20 Rdnr. 4; dafür: OVG NRW, Urteil vom 22.9.1965 - III A. 1360/63 = DÖV 1966, 504</ref>.

keiner Geheimhaltung bedürfende Tatsachen

Recht auf Meinungsfreiheit

Einzelfälle

"Plaudern aus der nichtöffentlichen Stadtratssitzung"

Der Geheimhaltungspflicht unterliegen auch alle Angelegenheiten, die der Rat in nichtöffentlicher Sitzung berät, auch ohne zuvor die Öffentlichkeit (ausdrücklich) ausgeschlossen zu haben<ref>OVG NRW, Beschluss vom 7.4.2011 - 15 A 441/11; OVG NRW, Urteil vom 22.09.1965 - III A. 1360/63 - DÖV 1966, 504, 505</ref>.

Verschwiegenheitspflicht auch bei zu Unrecht erfolgtem Ausschluss der Öffentlichkeit?

Im Beschluss des Rates, in einer Angelegenheit die Öffentlichkeit auszuschließen, sieht die Rechtsprechung zugleich den Beschluss, die Angelegenheit geheim zu halten. Auch ein zu Unrecht erfolgter Ausschluss der Öffentlichkeit kann daher grundsätzlich die Verschwiegenheitspflicht nach sich ziehen.<ref>Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Dezember 2009 15 A 2126/09 -, NWVBl. 2010, 237; VG Oldenburg, Urteil vom 29.09.2005, 2 A 68/03; anders aber *OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.06.1995 - 7 A 12186/94 - "Flucht an die Öffentlichkeit"</ref>.

Abstimmungsverhalten

Der Verschwiegenheit unterliegt auch das Abstimmungsverhalten. Möglicherweise kann eine Ausnahme zugunsten des eigenen Abstimmungsveraltens zu machen sein, soweit keine Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten anderer Ratsmitglieder möglich sind<ref>Keilich/Brummer, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – Geheimhaltungspflichten auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; a.A. Säcker, NJW 1986, 803, 807f</ref>

Rechtsfolgen bei Verstößen

Ordnungsgeld gegen Stadtratsmitglied

Bei Verstößen gegen die Verschwiegenheitspflicht kann der Stadtrat gegen das Stadtratsmitglied, das seine Verschwiegenheitspflicht verletzt, ein Ordnungsgeld verhängen<ref>BVerwG, Beschluss vom 12.06.1989 - 7 B 123.88</ref>.

Schadensersatz, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG

Die Stadt haftet für das Verhalten ihrer Stadträte nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegenüber Dritten.

Haftung des Stadtrats gegenüber der Stadt

Nach Art. 20 Abs. 4 Satz 2 GO richtet sich die Haftung gegenüber der Gemeinde nach den für den ersten Bürgermeister geltenden Vorschriften und tritt nur ein, wenn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last liegt. In diesem Fall kommt als zivilrechtliche Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 2 BGB in Betracht<ref>Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 1. Aufl. 2011, Alpmann Schmidt, Rdnr. 424</ref>.

Normen

Bayerische Gemeindeordnung (GO)

Abgabenrecht

Verpflichtungsgesetz

Verwaltungsverfahrensgesetz=

Strafrecht

  • § 8 Landesdatenschutzgesetz
  • § 133 Abs. 3 Strafgesetzbuch – Verwahrungsbruch
  • StGB § 201 Abs. 3 Strafgesetzbuch – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes,
  • § 202a Strafgesetzbuch – Ausspähen von Daten
  • § 202b Strafgesetzbuch – Abfangen von Daten
  • § 202c Strafgesetzbuch – Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten
  • § 203 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 und Abs. 5 Strafgesetzbuch – Verletzung von Privatgeheimnissen,
  • § 204 Strafgesetzbuch – Verwertung fremder Geheimnisse
  • § 303a Strafgesetzbuch – Datenveränderung
  • § 303b Strafgesetzbuch – Computersabotage
  • § 331 Strafgesetzbuch – Vorteilsannahme
  • § 332 Strafgesetzbuch – Bestechlichkeit
  • StGB § 353b Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch – Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht
  • § 355 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Strafgesetzbuch Verletzung des Steuergeheimnisses

Formulare

Rechtsprechung

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

VGH Bayern (BayVGH)

  • BayVGH, Beschluss vom 29. Januar 2004 - 4 ZB 03.174 -, juris, = BayVBl. 2004, 402 f.
  • BayVGH, Beschluss vom 29.01.2001 - 4 ZB 03.174 = BayVBl. 2004, 402
  • BayVGH, Urteil vom 23. März 1989 - 4 B 86.02994 - NVwZ 1989, 182 (183) = BayVBl. 1989, 81
  • BayVGH, Urteil vom 23. März 1988 - 4 B 86.02994 = NVwZ 1989, 182 = NVwZ 1989, 1000 (Ls.)
  • BayVGH BayVBl. 1983, 729
  • BayVGH, BayVBl. 1976, 498

Weitere Oberverwaltungsgerichte (OVG)

Verwaltungsgerichte (VG)

Publikationen

Siehe auch

Fußnoten

<references />