Vertragsfreiheit
"Die Vertragsfreiheit wird ... auch durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß GG Art. 2 Abs. 1 gewährleistet<ref>(vgl. BVerfGE 65, 196 [210]; 74, 129 [151 f.])</ref>. Betrifft eine gesetzliche Regelung jedoch die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung, die ihre spezielle Gewährleistung in GG Art. 12 Abs. 1 gefunden hat, scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus<ref>(vgl. BVerfGE 68, 193 [223 f.]; 77, 84 [118]; 95, 173 [188])</ref>.
Elemente der Vertragsfreiheit sind
- die Abschlussfreiheit
- die Formfreiheit und
- die Inhaltliche Gestaltungsfreiheit.<ref>vgl. Carsten Kunkel, Vertragsgestaltung: Eine methodisch-didaktische Einführung (Springer-Lehrbuch) 1. Aufl. 2016 Auflage, ISBN 9783662484302, Seite 35 ff. </ref>
Privatautonomie
"Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit<ref>vgl. BVerfGE 8, 274 [328]; 72, 155 [170]</ref>. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die Privatautonomie als "Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben"<ref>Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, S. 1210 Rdnr. 58</ref>.
Die Privatautonomie ist notwendigerweise begrenzt und bedarf der rechtlichen Ausgestaltung. Privatrechtsordnungen bestehen deshalb aus einem differenzierten System aufeinander abgestimmter Regelungen und Gestaltungsmittel, die sich in die verfassungsmäßige Ordnung einfügen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Privatautonomie zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers stünde und ihre grundrechtliche Gewährleistung infolgedessen leerliefe. Vielmehr ist der Gesetzgeber bei der gebotenen Ausgestaltung an die objektiv-rechtlichen Vorgaben der Grundrechte gebunden. Er muß der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum eröffnen. Nach ihrem Regelungsgegenstand ist die Privatautonomie notwendigerweise auf staatliche Durchsetzung angewiesen. Ihre Gewährleistung denkt die justitielle Realisierung gleichsam mit und begründet daher die Pflicht des Gesetzgebers, rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel zur Verfügung zu stellen, die als rechtsverbindlich zu behandeln sind und auch im Streitfall durchsetzbare Rechtspositionen begründen.
Mit der Pflicht zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnung stellt sich dem Gesetzgeber ein Problem praktischer Konkordanz. Am Zivilrechtsverkehr nehmen gleichrangige Grundrechtsträger teil, die unterschiedliche Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgen. Da alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG genießen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen können, darf nicht nur das Recht des Stärkeren gelten. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.
Im Vertragsrecht ergibt sich der sachgerechte Interessenausgleich aus dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner. Beide binden sich und nehmen damit zugleich ihre individuelle Handlungsfreiheit wahr. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung<ref>vgl. BVerfGE 81, 242 [255]´</ref>. Allerdings kann die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Das folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG)."<ref>BVerfG, Beschluss vom 19.10.1993 - 1 BvR 567/89; 1 BvR 1044/89 Abs. 53 ff.</ref>
Normen
Rechtsprechung
- BVerfG, Beschluss vom 07.09.2010 – 1 BvR 2160/09
- BVerfG, Beschluss vom 11.07.2006 - 1 BvL 4/00: "Die Tariftreueregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln berührt das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht und verletzt nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG."<ref>Amtlicher Leitsatz 2</ref>
- BVerfG, Urteil vom 06.02.2001 - 1 BvR 12/92: "Zur gerichtlichen Kontrolle des Inhalts ehevertraglicher Abreden, die vor der Eheschließung mit einer Schwangeren getroffen werden und die Betreuungs- und Unterhaltssituation des gemeinsamen Kindes nach einer Scheidung berühren, am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 GG und des Art. 6 Abs. 2 GG."<ref>Amtlicher Leitsatz</ref>
- BVerfG, Urteil vom 08.04.1997 - 1 BvR 48/94 - LPG-Altschulden
- BVerfG, Beschluss vom 26.02.1997 - 1 BvR 2172/96
- BVerfG, Beschluss vom 22.01.1997 - 2 BvR 1915/91
- BVerfG, Beschluss vom 19.10.1993 - 1 BvR 567/89; 1 BvR 1044/89 Privatautonomie - Bürgschaften
- BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990 - 1 BvR 26/84 - Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter
- BVerfG, Urteil vom 31.01.1989 - 1 BvL 17/87
Publikationen
Lehrbücher
- Volker Epping, Grundrechte, 6. Auflage 2014, Springer, Berlin Heidelberg, ASIN B00R3H9ZBI Rn. 562 ff.
Fachbücher
- Wolfram Höfling, Vertragsfreiheit: Eine grundrechtsdogmatische Studie, Verlag C.F. Müler 1991, ISBN 9783811480902
Tagespresse
Siehe auch
- Allgemeine Handlungsfreiheit
- Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen
- Kontrahierungszwang
- Privatautonomie
- Institutsgarantie<ref>Volker Epping, Grundrechte, 6. Auflage 2014, Springer, Berlin Heidelberg, ASIN B00R3H9ZBI Rn. 564</ref>
- Vertragsgestaltung
Fußnoten
<references/>