Menschenwürde
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." (GG Art. 1 Abs. 1)
Schutzbereich
Persönlicher Schutzbereich
- Jedermann
- auch:
- ungeborenes Leben<ref>Volker Epping, Grundrechte, 6. Auflage 2014, Springer, Berlin Heidelberg, ASIN B00R3H9ZBI Pos. 9017 Fn. 17 mit Verweis auf BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 - 1 BvF 1/74; 1 BvF 2/74; 1 BvF 3/74; 1 BvF 4/74; 1 BvF 5/74; 1 BvF 6/74 sowie BVerfG, Beschluss vom 28.05.1993 - 2 BvF 2/90; 2 BvF 4/90; 2 BvF 5/92</ref>
- postmortal<ref>Volker Epping, Grundrechte, 6. Auflage 2014, Springer, Berlin Heidelberg, ASIN B00R3H9ZBI Pos. 9021 Fn. 19 mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 - Mephisto sowie BVerfG, Beschluss vom 25.08.2000 - 1 BvR 2707/95 - Willy-Brandt-Gedenkmünze </ref>: "... die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, [ender] nicht mit dem Tode."<ref>BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 - Mephisto Abs. 61 a.E.</ref>
Sachlicher Schutzbereich
- "Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollzieht, muß, wenn sie die Menschenwürde berühren soll, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins ankommt, sein."<ref>BVerfG, Urteil vom 15.12.1970 - 2 BvF 1/69; 2 BvR 629/68; 2 BvR 308/69 Amtlicher Leitsatz 6</ref>
- "Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der soziale Wert und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt<ref>BVerfGE 6, 32 [36, 41]; 30, 1 [26]</ref>. Jedem Menschen ist sie eigen ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Verletzbar ist der Wert und Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt<ref>vgl. BVerfGE 87, 209 [228]</ref>. Was die Achtung der Menschenwürde im einzelnen erfordert, kann von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht völlig gelöst werden<ref>vgl. BVerfGE 45, 187 [229]</ref>. Eine Verletzung des Achtungsanspruchs kann nicht nur in der Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung von Personen<ref>vgl. BVerfGE 1, 97 [104]</ref>, sondern auch in der Kommerzialisierung menschlichen Daseins liegen. "<ref>BVerfG 1 BvR 479/92}} Abs. 65</ref>
Eingriff
Rechtfertigung
Schranken
Schranken-Schranken
Themenspektrum
Sicherheitspolitik
- "Unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG [ist es] schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich wie die Besatzung und die Passagiere eines entführten Luftfahrzeugs in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden, gegebenenfalls sogar unter Inkaufnahme solcher Unwägbarkeiten vorsätzlich zu töten. Dabei ist hier nicht zu entscheiden, wie ein gleichwohl vorgenommener Abschuss und eine auf ihn bezogene Anordnung strafrechtlich zu beurteilen wären<ref>vgl. dazu und zu vergleichbaren Fallkonstellationen etwa OGHSt 1, 321 <331 ff., 335 ff.>; 2, 117 <120 ff.>; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 3. Aufl. 1997, S. 888 f.; Erb, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, 2003, § 34 Rn. 117 ff.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. I, Allgemeiner Teil, Vor § 19 Rn. 8 <Stand: April 2003>; Kühl, Strafgesetzbuch, 25. Aufl. 2004, Vor § 32 Rn. 31; Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 52. Aufl. 2004, Vor § 32 Rn. 15, § 34 Rn. 23; Hilgendorf, in: Blaschke/Förster/Lumpp/ Schmidt, Sicherheit statt Freiheit?, 2005, S. 107 <130></ref>. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist allein entscheidend, dass der Gesetzgeber nicht durch Schaffung einer gesetzlichen Eingriffsbefugnis zu Maßnahmen der in § 14 Abs. 3 LuftSiG geregelten Art gegenüber unbeteiligten, unschuldigen Menschen ermächtigen, solche Maßnahmen nicht auf diese Weise als rechtmäßig qualifizieren und damit erlauben darf. Sie sind als Streitkräfteeinsätze nichtkriegerischer Art mit dem Recht auf Leben und der Verpflichtung des Staates zur Achtung und zum Schutz der menschlichen Würde nicht zu vereinbaren."
Migrationspolitik
"Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums<ref>vgl. BVerfGE 125, 175</ref>. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu."<ref>BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11 - Amticher Leitsatz 2</ref>
...
"Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren [13. Ausschuss] vom 24. Mai 1993, BTDrucks 12/5008, S. 13f.). Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren."<ref>BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11 - Absatz 95</ref>
Normen
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
- Art. 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen."
- Art. 4
- Art. 5
Grundgesetz (GG)
- GG Art. 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
- GG Art. 79 Abs. 3 (sog. Ewigkeitsgarantie)
Charta der Vereinten Nationen
Präambel
WIR, DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN - FEST ENTSCHLOSSEN,
künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern,
UND FÜR DIESE ZWECKE
Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben, unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, daß Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern -
HABEN BESCHLOSSEN, IN UNSEREM BEMÜHEN UM DIE ERREICHUNG DIESER ZIELE ZUSAMMENZUWIRKEN.
Dementsprechend haben unsere Regierungen durch ihre in der Stadt San Franzisko versammelten Vertreter, deren Vollmachten vorgelegt und in guter und gehöriger Form befunden wurden, diese Charta der Vereinten Nationen angenommen und errichten hiermit eine internationale Organisation, die den Namen “Vereinte Nationen“ führen soll.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
- Art. 1: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen."
Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten)
- EMRK Art. 3 Verbot der Folter
- EMRK Art. 4 Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Rechtprechung
Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
- BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11 = BVerfGE 132, 134 - Asylbewerberleistungsgesetz
- BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 = BVerfGE 125, 175 - Hartz IV
- BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 - 1 BvR 357/05 = BVerfGE 115, 118 - Luftsicherheitsgesetz
- BVerfG, Beschluss vom 25.08.2000 - 1 BvR 2707/95 - Willy-Brandt-Gedenkmünze - Recht am eigenen Bild
- BVerfG, Beschluss vom 12.11.1997 - 1 BvR 479/92, 1 BvR 307/94 - 'Kind als Schaden': "Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines Kindes verstößt nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG."<ref>Amtlicher Leitsatz</ref>
- BVerfG, Beschluss vom 28.05.1993 - 2 BvF 2/90; 2 BvF 4/90; 2 BvF 5/92 = BVerfGE 88, 203 - Schwangerschaftsabbruch II
- BVerfG, Beschluss vom 29.05.1990 - 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86 = BVerfGE 82, 60 - Steuerfreies Existenzminimum
- BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 - 1 BvL 14/76 = BVerfGE 45, 187 - Lebenslange Freiheitsstrafe
- BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 - 1 BvF 1/74; 1 BvF 2/74; 1 BvF 3/74; 1 BvF 4/74; 1 BvF 5/74; 1 BvF 6/74 = BVerfGE 39, 1 - Schwangerschaftsabbruch I
- BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 - Mephisto
- BVerfG, Urteil vom 15.12.1970 - 2 BvF 1/69; 2 BvR 629/68; 2 BvR 308/69 = BVerfGE 30, 1 - Abhörurteil
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)
Publikationen
Fachartikel
- Jochen von Bernstorff (2008). Pflichtenkollision und Menschenwürdegarantie. Zum Vorrang staatlicher Achtungspflichten im Normbereich von Art. 1 GG. Der Staat: Vol. 47, No. 1, pp. 21-40. doi: 10.3790/staa.47.1.21
- Friedhelm Hufen, Die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, JuS 2010, 1
- Josef Isensee, Menschenwürde-die säkulare Gesellschaft auf der Suche nach dem Absoluten, AöR 131 (2006), 173 ff.
- Prof. Dr. Ralf Poscher, Menschenwürde und Kernbereichsschutz, Von den Gefahren einer Verräumlichung des Grundrechtsdenkens, HFR 2010, S. 90
Fachbücher
Lehrbücher
- Volker Epping, Grundrechte, 6. Auflage 2014, Springer, Berlin Heidelberg, ASIN B00R3H9ZBI Pos. 8883 ff. (Kapitel 12)
Presse
Siehe auch
- Aufklärung
- Drittwirkung
- Utilitarismus
- Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
Fußnoten
<references />