Schätzung des Auftragswerts
Bei der Schätzung des Auftragswerts ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Zudem sind etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen. Sieht der öffentliche Auftraggeber Prämien oder Zahlungen an den Bewerber oder Bieter vor, sind auch diese zu berücksichtigen.<ref>VgV § 3 Abs. 1, vgl. auch {{SektVO 2}, VSVgV § 3, KonzVgV § 2</ref>
Umgehungsverbot
Die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts darf nach VgV § 3 Abs. 2 Satz 1 nicht in der Absicht erfolgen, die Anwendung der Bestimmungen des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder der Vergabeverordnung (VgV) zu umgehen. Eine Auftragsvergabe darf nicht so unterteilt werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder dieser Verordnung fällt, es sei denn, es liegen objektive Gründe dafür vor, etwa wenn eine eigenständige Organisationseinheit selbstständig für ihre Auftragsvergabe oder bestimmte Kategorien der Auftragsvergabe zuständig ist. (VgV § 3 Abs. 2 Satz 2)
Maßgeblicher Zeitpunkt
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswerts ist der Tag, an dem die Auftragsbekanntmachung abgesendet wird oder das Vergabeverfahren auf sonstige Weise eingeleitet wird. (VgV § 3 Abs. 3)
Schätzung des Auftragswerts von Bauleistungen
Bei der Schätzung des Auftragswerts von Bauleistungen ist neben dem Auftragswert der Bauaufträge der geschätzte Gesamtwert aller Liefer- und Dienstleistungen zu berücksichtigen, die für die Ausführung der Bauleistungen erforderlich sind und vom öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Die Möglichkeit des öffentlichen Auftraggebers, Aufträge für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen entweder getrennt oder gemeinsam zu vergeben, bleibt unberührt. (VgV § 3 Abs. 6)
Normen
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Vergabeverordnung (VgV)
- VgV § 3 Schätzung des Auftragswerts
Sektorenverordnung (SektVO)
- SektVO § 2 Schätzung des Auftragswerts
Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV)
- VSVgV § 3 Schätzung des Auftragswerts
Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV)
- KonzVgV § 2 Berechnung des geschätzten Vertragswerts
Rechtsprechung
- OLG Rostock, Beschluss vom 06.11.2015 - 17 Verg 2/159: "Der maßgebliche Vergaberechtsverstoß - nationale statt europaweite Vergabe - kann durch die beantragte Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Wertung der Angebote nicht geheilt werden. Ein erneuter Zuschlag wäre wiederum gem. § 101b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB für unwirksam zu erklären, wenn ein Konkurrent dies beantragt. Gem. §§ 114 Abs. 1, 123 GWB ist deshalb als ultima ratio das Vergabeverfahren aufzuheben und bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein erneutes, diesmal europaweites Vergabeverfahren anzuordnen<ref>(vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 30.6.2005 - 6 Verg 5/05, juris Rn. 31; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.8.2007 - VK 32/07, juris; Pünder/Schellenberg-Nowak, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 GWB Rn. 17; Ziekow/Völlink-Brauer, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 Rn. 19)</ref>."<ref>Absätze 58 und 59</ref>
- OLG Celle, Beschluss vom 19.08.2009 - 13 Verg 4/09: "Maßgebender Zeitpunkt für die Schätzung des Gesamtauftrags ist nach § 3 Abs.10 VgV der Tag der Absendung der Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe oder die sonstige Einleitung des Vergabeverfahrens. Für die Vergabe von baulichen Anlagen, bei der mehrere Ausschreibungen durchgeführt werden, konkretisiert § 1a Nr. 3 VOB/A den Zeitpunkt dahingehend, dass es auf die Einleitung des ersten Vergabeverfahrens, also auf den Tag der Bekanntmachung des ersten Verfahrens, ankommt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. August 2001 – 2 Verg 3/01, NZBau 2002, 292, 293). ... Bei Bauaufträgen errechnet sich der zu schätzende Gesamtauftragswert aus der Summe der Auftragswerte aller für die Erstellung der baulichen Anlage erforderlichen Bauleistungen ohne Umsatzsteuer (§§ 1, 3 Abs.1 VgV). Ein pflichtgemäß geschätzter Auftragswert ist dabei der Wert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und auf dem Boden einer betriebswirtschaftlichen Finanzplanung veranschlagen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juli 2003, Verg 5/03, zitiert nach juris, Tz. 4. OLG Celle, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 13 Verg 6/07, VergabeR 2007, 808, 809 f.. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. November 2008 - 15 Verg 4/08, VergabeR 2009, 200, 203 f.). Zur ordnungsgemäßen Schätzung gehört auch die ordentliche Ermittlung der Schätzungsgrundlage (OLG Celle, a.a.O. Tz. 32).
- Ist der Wert des beabsichtigten Auftrags ordnungsgemäß geschätzt worden, bestimmt ausschließlich dieser Schätzwert über die Geltung oder Nichtgeltung des Vergaberechts. Das gilt selbst dann, wenn sich im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens - insbesondere aufgrund der abgegebenen Angebote - herausstellt, dass der Wert der benötigten Leistung tatsächlich unterhalb oder oberhalb des maßgeblichen Schwellenwertes liegt (Kühnen, in: Byok/Jaeger, VergR 2. Aufl. Rdn. 1500. Glahs, in: Reidt/Stickler/Glahs, VergR 2. Aufl. § 3 Rdn. 5). Insoweit steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen beachtet werden muss (OLG Celle, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 13 Verg 6/07, VergabeR 2007, 808, 809 f.. Lausen, in: jurisPKVergR 2. Aufl. § 3 Rdn.14). Wegen der Bedeutung des Schwellenwertes ist es erforderlich, dass die Vergabestelle die ordnungsgemäße Ermittlung des geschätzten Auftragswertes in einem Aktenvermerk
- festhält. Zwar dürfen an die Schätzung selbst keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2002 Verg W 4/02 zitiert nach juris Tz. 61. BayObLG, Beschluss vom 18. Juni 2002 Verg 8/02, VergabeR 2002, 657). Die Anforderungen an die Genauigkeit der Wertermittlung und der Dokumentation steigen aber, je mehr sich der Auftragswert an den Schwellenwert annähert (OLG Celle, a. a. O.).
- bb) Den dargestellten Erfordernissen an eine ordnungsgemäße Schätzung des Auftragswertes genügt die von der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Absendung der Bekanntmachung des ersten Vergabeverfahrens vorgenommene Ermittlung des Auftragswerts nicht, weil die erforderliche Aktualisierung der auf dem Stand Dezember 2007 basierenden Schätzung zu dem nach § 3 Abs. 10 VgV maßgeblichen Zeitpunkt am 1. Juli 2008 unterblieben ist und die Schätzung relevante Kostenelemente, wie z.B. Schrotterlöse und die zum Zeitpunkt der Ausschreibung verbesserten Verwertungserlöse für Bauschutt, nicht berücksichtigt.
- Gemessen an den vorgenannten Kriterien musste hier eine erneute Aktualisierung der zuletzt im Dezember 2007 aktualisierten Schätzung der Antragsgegnerin zum 1. Juli 2008 erfolgen. So ist grundsätzlich eine Aktualisierung zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens erforderlich, wenn eine Kostenermittlung bereits frühzeitig erfolgt ist. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen zweifelhaft ist, ob der Schwellenwert über oder unterschritten wird, wenn es sich also um einen Grenzfall handelt (vgl. VgK BadenWürttemberg, Beschluss vom 15.07.2002 – 1 VK 35/02, zitiert nach juris, Tz. 38. VgK des Freistaates Sachsen, Beschluss vom 12. Juli 2007 – 1/SVK/04907, zitiert nach juris Tz. 48). Davon ist nach den maßgebenden Umständen des zu beurteilenden Sachverhalts auszugehen. Ausweislich des Vergabevermerks nach § 30 a VOB/A in dem abgeschlossenen Vergabeverfahren über die Abbruchphase I vom 13./14. Oktober 2008 hat die Antragsgegnerin den Wert der Gesamtauftragsleistungen anhand der Aktualisierung der vom Büro W. in 2006 vorgenommenen Kostenschätzung in Höhe von 6.839.050 EUR netto durch das Büro W. im Dezember 2007 auf 5.678.515 EUR netto geschätzt. Dieser Wert lag damit nicht mehr wesentlich über dem Schwellenwert von 5.150.000 EUR. Der Einwand der Antragstellerin, es handele sich hier deshalb nicht um einen „Grenzfall“, weil der im Dezember 2007 geschätzte Auftragswert den Schwellenwert nur etwa um 10% (exakt: 9,3%) überschreite, wird angesichts der schon im Dezember 2007 erfolgten Korrektur der ursprünglich ermittelten Kosten um 17% den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht gerecht.
- Auch wenn an eine ordnungsgemäße Kostenschätzung keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, durfte die Antragsgegnerin angesichts der dargestellten Schwankungen in der Kostenschätzung und im Hinblick auf den Zeitablauf von über einem halben Jahr (vgl. VgK BadenWürttemberg, Beschluss vom 15. Juli 2002 – 1 Vk 35/02, zitiert nach juris Tz.38. VgK Sachen, Beschluss vom 12. Juli 2007 – 1/SVK/049/07, zitiert nach juris Tz. 48) bei der Ermittlung des Auftragswertes nicht mehr die Kostenschätzung aus Dezember 2007 zu Grunde legen, ohne diese zum 1. Juli 2008 zu aktualisieren. Diesbezüglich ist zudem zu berücksichtigen, dass es sich im Bereich der Verwertung von Abfällen nach den Erfahrungen des Senats um einen außerordentlich volatilen Markt handelt. Das hat sich auch in der Kostenschätzung vom August 2008 niedergeschlagen. Dort wurden neben den erstmals berücksichtigten Schrotterlösen in Höhe von 120.000 EUR verbesserte Verwertungserlöse für Bauschutt in Höhe von 748.000 EUR eingestellt, die zu einer Reduzierung des Auftragswertes führten.
- Dass die Kostenschätzung der Antragsgegnerin vom Dezember 2007 auch in ihrem Ansatz nicht den Erfordernissen an eine pflichtgemäße Ermittlung des Auftragswertes genügte, wird ferner durch die dem Vergabevermerk beigefügte tabellarische Zusammenstellung der Kostenschätzungen der Jahre 2006, 2007 und 2008 belegt. Danach hat die Antragsgegnerin erzielbare Schrotterlöse in den Schätzungen aus 2006 und vom Dezember 2007 überhaupt nicht berücksichtigt. Der Hinweis der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe von diesen Erlösen erst im Rahmen der Submission der ersten Ausschreibung am 5. August 2008 Kenntnis erlangt, belegt ebenfalls die auch im Übrigen nicht ordnungsgemäße Ermittlung des Auftragswerts durch die Antragsgegnerin.
- cc) Da es somit an einer ordnungsgemäßen Schätzung durch den Auftraggeber zum maßgebenden Zeitpunkt fehlt, hat der Vergabesenat den Auftragswert eigenständig zu schätzen (OLG Celle, Beschluss vom 12. Juli 2007 – 13 Verg 6/07, VergabeR 2007, 808, 810. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. November 2008 – 15 Verg 4/08, VergabeR 2009, 200, 205 f.).
- Entgegen der Auffassung der Antragstellerin entspricht die danach vorzunehmende Bestimmung des Auftragswertes allerdings nicht zwangsläufig dem aus den addierten Durchschnittswerten aller Angebote für beide Abbruchphasen zu ermittelnden durchschnittlichen Gesamtangebotspreis. Denn neben den Angeboten der anderen Bieter in den beiden Vergabeverfahren kommt vor allem dem zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin für die Abbruchphase I abgeschlossenen Vertrag entscheidende Bedeutung zu (vgl. OLG Celle, a.a.O, Lausen, in: jurisPK 2. Aufl. § 3 VgV Rdn.36). Dies gilt umso mehr, als für den Zuschlag in dem Vergabeverfahren für die Abbruchphase I allein der Preis das entscheidende Kriterium darstellte.
- Unter Berücksichtigung der danach maßgebenden Umstände ist hier von einem Auftragswert für beide Abbruchphasen unterhalb des Schwellenwertes auszugehen: Das Angebot der Antragstellerin für die erste Abbruchphase, dass sich dort als das wirtschaftlichste herausstellte und dementsprechend bezuschlagt wurde, belief sich auf eine Angebotssumme in Höhe von 2.479.442,95 EUR brutto bzw. 2.083.565,50 EUR netto. Für die Abbruchphase II betrug die ungeprüfte, an zehnter Stelle liegende Angebotssumme der Antragstellerin 2.089.986,59 EUR brutto bzw. 1.756.291,26 EUR netto, wonach sich für beide Abbruchphasen insgesamt eine Summe von 4.569.429,54 EUR brutto bzw. 3.839.856,76 EUR netto errechnet. Dem Vergabevermerk der Antragsgegnerin zur ersten Abbruchphase, für die der Preis – anders als für die Abbruchphase II – das alleinige Zuschlagskriterium bildete, ist zu entnehmen, dass die Berechnung des gemittelten Gesamtpreises der günstigsten drei Bieter einen Betrag von 2.251.295,23 EUR netto ergab. Addiert man den Durchschnittswert aller für die zweite Abbruchphase abgegebenen Angebote, folgt daraus insgesamt ebenfalls keine Überschreitung des Schwellenwertes.
- c) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ergibt sich eine andere Beurteilung auch nicht aus einer - in den von ihr zitierten Entscheidungen des BayObLG (Beschluss vom 1. Oktober 2001 – Verg 6/01, VergabeR 2002, 63, 66) und des Thüringer OLG (Beschluss vom 16. Januar 2002 – 6 Verg 7/01, zitiert nach juris Tz.21) angenommenen - „Selbstbindung der Verwaltung“. Eine solche Wirkung hat das BayObLG bei einem über dem Schwellenwert liegenden Gesamtauftrag ausschließlich für die in das Ermessen des Auftragsgebers fallende Zuordnung eines unter dem Wert von 1 Millionen EUR zu beziffernden Einzelloses zum 80 %Kontingent nach § 2 Nr.7 VgV bejaht (BayObLG, Beschluss vom 1. Oktober 202 – Verg 6/01, a.a.O. und ausdrücklich: Beschluss vom 23. Mai 2002, Verg 7/02, VergabeR 2002, 510, 513). Diese ausschließlich auf die Zuordnung zum 80%Kontingent beschränkte Selbstbindung der Verwaltung im Rahmens des ihr eingeräumten Ermessens ist folglich nicht auf den hiesigen Sachverhalt übertragbar. Durch die europaweite Ausschreibung der Abbruchphase I, die aufgrund der Unterschreitung des Schwellenwertes für den – unterstellt – Gesamtauftrag nicht erforderlich gewesen wäre, hat sich die Antragsstellerin nicht zugleich auch für die Vergabe der Leistungen für die Abbruchphase II gebunden. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem obiter dictum des Thüringer OLG in seinem Beschluss vom 16. Januar 2002 (6 Verg 7/01, zitiert nach juris Tz. 21), weil im Gegensatz zum dortigen Fall die Antragsgegnerin die streitgegenständlichen Leistungen der Abbruchphase II gerade nicht europaweit ausgeschrieben hat.<ref>Abs. 21 ff.</ref>
Siehe auch
Fußnoten
<references/>