Kunstfreiheit: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Kommunalwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Zeile 1: Zeile 1:
''"[[Kunst]] und [[Wissenschaft]], [[Forschung]] und [[Lehre]] sind frei."''  ({{GG 5}} Abs. 3 Satz 1)
+
[[Kunst]] und [[Wissenschaft]], [[Forschung]] und [[Lehre]] sind frei. ({{GG 5}} Abs. 3 Satz 1)
 +
 
 +
Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. ({{BV 108}})
 +
 
 +
----
  
 
==Schutzbereich==
 
==Schutzbereich==

Version vom 7. August 2017, 10:51 Uhr

Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. (GG Art. 5 Abs. 3 Satz 1)

Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. (BV Art. 108)


Schutzbereich

Persönlicher Schutzbereich

"Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es daher zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die hier eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben. Da ein Werk der erzählenden Kunst ohne die Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung durch den Verleger keine Wirkung in der Öffentlichkeit entfalten könnte, der Verleger daher eine unentbehrliche Mittlerfunktion zwischen Künstler und Publikum ausübt, erstreckt sich die Freiheitsgarantie auch auf seine Tätigkeit. ...<ref>vgl. auch BVerfGE 10, 118 [121]; 12, 205 [260] zur Pressefreiheit</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 Abs. 54</ref>

Sachlicher Schutzbereich

"Der Lebensbereich "Kunst" ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Von ihnen hat die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.

Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den "Werkbereich" und den "Wirkbereich" des künstlerischen Schaffens. Beide Bereiche bilden eine unlösbare Einheit. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen Vorganges; dieser "Wirkbereich", in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird, ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen ist. Allein schon der Rückblick auf das nationalsozialistische Regime und seine Kunstpolitik zeigt, daß die Gewährleistung der individuellen Rechte des Künstlers nicht ausreicht, die Freiheit der Kunst zu sichern. Ohne eine Erstreckung des personalen Geltungsbereichs der Kunstfreiheitsgarantie auf den Wirkbereich des Kunstwerks würde das Grundrecht weitgehend leerlaufen."<ref>BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 Abs. 49 ff.</ref>

"... Diese Freiheitsverbürgung enthält nach Wortlaut und Sinn zunächst eine objektive, das Verhältnis des Lebensbereichs "Kunst" zum Staat regelnde Grundsatznorm. Zugleich gewährleistet die Bestimmung jedermann, der in diesem Bereich tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht. Sie betrifft in gleicher Weise den "Werkbereich" des künstlerischen Schaffens als auch den "Wirkbereich" der Darbietung und Verbreitung eines Kunstwerks, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird<ref>BVerfGE 30, 173 [188 f.]</ref>. In das Grundgesetz ist die Gewährleistung unter dem Eindruck der leidvollen Erfahrungen aufgenommen worden, die Künstler während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben hinnehmen müssen. Dies ist auch für die Auslegung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG von Bedeutung: Weder darf die Kunstfreiheitsgarantie durch wertende Einengung des Kunstbegriffs noch durch erweiternde Auslegung oder Analogie aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen eingeschränkt werden<ref>BVerfGE a.a.O. [191]</ref>.

2. Der Lebensbereich "Kunst" ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Wie weit danach die Kunstfreiheitsgarantie der Verfassung reicht und was sie im einzelnen bedeutet, läßt sich nicht durch einen für alle Äußerungsformen künstlerischer Betätigung und für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen allgemeinen Begriff umschreiben<ref>vgl. BVerfGE a.a.O. [183 f.]</ref>.

a) Den bisherigen Versuchen der Kunsttheorie (einschließlich der Reflexionen ausübender Künstler über ihr Tun), sich über ihren Gegenstand klar zu werden, läßt sich keine zureichende Bestimmung entnehmen, so daß sich nicht an einen gefestigten Begriff der Kunst im außerrechtlichen Bereich anknüpfen läßt. Daß in der Kunsttheorie jeglicher Konsens über objektive Maßstäbe fehlt, hängt allerdings auch mit einem besonderen Merkmal des Kunstlebens zusammen: die "Avantgarde" zielt gerade darauf ab, die Grenzen der Kunst zu erweitern. Dies und ein weitverbreitetes Mißtrauen von Künstlern und Kunsttheoretikern gegen starre Formen und strenge Konventionen sind Eigenheiten des Lebensbereichs Kunst, welche zu respektieren sind und bereits darauf hindeuten, daß nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessenen Lösungen führen kann.

b) Die Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren, entbindet indessen nicht von der verfassungsrechtlichen Pflicht, die Freiheit des Lebensbereichs Kunst zu schützen, also bei der konkreten Rechtsanwendung zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegen.

Soweit Literatur und Rechtsprechung für die praktische Handhabung von Gesetzen, welche "Kunst" als Tatbestandsmerkmal enthalten, Formeln und Abgrenzungskriterien entwickelt haben, ist dies für die Auslegung der Verfassungsgarantie nicht ausreichend, da die einfachrechtliche Auslegung an den verschiedenen Zwecken der gesetzlichen Regelungen orientiert ist.

Weitergehende Versuche einer verfassungsrechtlichen Begriffsbestimmung treffen, soweit ersichtlich, nur Teilaspekte; sie können jeweils nur für einzelne Sparten künstlerischer Betätigung Geltung beanspruchen<ref>vgl. aus der umfangreichen Literatur z. B. Ropertz, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, Diss. Heidelberg 1963; Erbel, Inhalt und Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie, 1966; Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967; von Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz [Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG] und die Strafbarkeit der Verbreitung unzüchtiger Darstellungen [§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB], Diss. Köln 1969; Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 1969; Vogt, Die Freiheit der Kunst im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, Diss. Zürich 1975; jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen</ref>. Immerhin enthalten diese Bemühungen tragfähige Gesichtspunkte, die in ihrer Gesamtheit im konkreten Einzelfall eine Entscheidung ermöglichen, ob ein Sachverhalt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fällt.

3. a) Das Bundesverfassungsgericht hat als wesentlich für die künstlerische Betätigung "die freie schöpferische Gestaltung" betont, "in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden". Alle künstlerische Tätigkeit sei ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen seien. Beim künstlerischen Schaffen wirkten Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es sei primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers<ref>BVerfGE 30, 173 [189]</ref>. Ähnliche Versuche materialer, wertbezogener Umschreibungen in der Literatur betonen ebenfalls die Merkmale des Schöpferischen, des Ausdruckes persönlichen Erlebnisses, der Formgebung sowie der kommunikativen Sinnvermittlung<ref>vgl. Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 24, 29; Scheuner, Die Bundesrepublik als Kulturstaat, in Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1977-1978, S. 113 [126]; Würtenberger, Vom strafrechtlichen Kunstbegriff, in Festschrift für Eduard Dreher, 1977, S. 79 [89]; Geiger, Zur Diskussion über die Freiheit der Kunst, in Festschrift für Gerhard Leibholz, 1966, S. 187 [191]</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 - 1 BvR 816/82 Abs. 28 ff.</ref>

Normen

Rechtsprechung

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Publikationen

Monografien

  • Friedrich Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, Duncker & Humblot, 1. Aufl. 20. Oktober 1969, ISBN 9783428020720

Fachartikel

  • Henschel, Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 1990, 1937 ff.
  • Karpen/Nohe, Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung seit 1992, JZ 2001, 801 ff.
  • Loef/Ujica, Quod licet jovi, non licet bovi – Was darf die Kunst, was die Medien nicht dürfen?, ZUM 2010, 670 ff.
  • Vosgerau, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Universalschranke der Kunstfreiheit, Der Staat 48 (2009), 107 ff.

Siehe auch

Fußnoten

<references />