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Version vom 19. Februar 2015, 08:10 Uhr
"Jeder hat das Recht, ... sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten." (GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2)
Geschichte
"Die deutsche Verfassungsgeschichte kennt bis zum Jahre 1945 kein eigenständiges Grundrecht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Diese Informationsfreiheit fand nach dem zweiten Weltkrieg zunächst Eingang in verschiedene Landesverfassungen<ref>vgl. etwa Art. 11 der Verfassung des ehemaligen Landes Württemberg-Baden vom 28. November 1946; Art. 13 der Hessischen Verfassung vom 1. Dezember 1946; Art. 112 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946</ref> und sodann in das Grundgesetz. Anlaß für die selbständige verfassungsrechtliche Gewährleistung der Informationsfreiheit im Grundgesetz waren die Erfahrungen mit den zur nationalsozialistischen Regierungspraxis gehörenden Informationsbeschränkungen, der staatlichen Meinungslenkung, den staatlichen Abhörverboten für ausländische Rundfunksender und den Literatur- und Kunstverboten."<ref>BVerfG, Beschluss vom 03.10.1969 - 1 BvR 46/65 = BVerfGE 27,71; NJW 1970, 235 Leipziger Volkszeitung</ref>
Systematik
"...Die Informationsfreiheit steht in der grundgesetzlichen Ordnung gleichwertig neben der Meinungs- und Pressefreiheit. Sie ist kein bloßer Bestandteil des Rechts der freien Meinungsäußerung und -verbreitung. Dieses Recht hat zwar den Schutz des Empfangs der Meinung durch andere mit zum Inhalt; der Schutz wird aber allein den Äußernden um ihrer Meinungsfreiheit willen gewährt. Der Empfänger spielt dabei insoweit nur eine passive Rolle. Demgegenüber ist die Informationsfreiheit gerade das Recht, sich selbst zu informieren. Andererseits ist dieses Freiheitsrecht die Voraussetzung der der Meinungsäußerung vorausgehenden Meinungsbildung. Denn nur umfassende Informationen, für die durch ausreichende Informationsquellen Sorge getragen wird, ermöglichen eine freie Meinungsbildung und -äußerung für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft. Schließlich trägt eine freie Presse dazu bei, durch umfassende Informationen den Bürgern die Aufgabe zu erleichtern, sich Meinungen zu bilden und politische Entscheidungen zu treffen<ref>BVerfGE 20, 162 [174]</ref>.
Für die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Informationsfreiheit sind danach zwei Komponenten wesensbestimmend. Einmal ist es der Bezug zum demokratischen Prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG: Ein demokratischer Staat kann nicht ohne freie und möglichst gut informierte öffentliche Meinung bestehen. Daneben weist die Informationsfreiheit eine individualrechtliche, aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitete Komponente auf. Es gehört zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen, sich aus möglichst vielen Quellen zu unterrichten, das eigene Wissen zu erweitern und sich so als Persönlichkeit zu entfalten. Zudem ist in der modernen Industriegesellschaft der Besitz von Informationen von wesentlicher Bedeutung für die soziale Stellung des Einzelnen. Das Grundrecht der Informationsfreiheit ist wie das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eine der wichtigsten Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie<ref>vgl. BVerfGE 7, 198 [208]</ref>. Erst mit seiner Hilfe wird der Bürger in den Stand gesetzt, sich selbst die notwendigen Voraussetzungen zur Ausübung seiner persönlichen und politischen Aufgaben zu verschaffen, um im demokratischen Sinne verantwortlich handeln zu können. Mit zunehmender Informiertheit erkennt der Bürger Wechselwirkungen in der Politik und ihre Bedeutung für seine Existenz und kann daraus Folgerungen ziehen; seine Freiheit zur Mitverantwortung und zur Kritik wächst. Nicht zuletzt können die Informationen den Einzelnen befähigen, die Meinungen anderer kennenzulernen, sie gegeneinander abzuwägen, damit Vorurteile zu beseitigen und Verständnis für Andersdenkende zu wecken.
Die besondere Bedeutung, die der Informationsfreiheit auch im internationalen Bereich zugemessen wird, zeigt sich in den zwischenstaatlichen Bestrebungen seit 1945, diese Freiheit als eigenständiges Recht zu sichern. Nachdem schon die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1946 die Informationsfreiheit in einem umfassenden Sinn verstanden hatte, der sogar die Äußerungsfreiheit miteinschloß, hat die Generalversammlung der UNO in Art. 19 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 den Grundsatz niederlegt:
- Jeder hat das Recht der Meinungs- und Äußerungsfreiheit, insbesondere das Recht, wegen seiner Überzeugung nicht beunruhigt zu werden und Nachrichten und Gedanken durch jedes Ausdrucksmittel und unabhängig von Grenzen einzuholen, zu empfangen und zu verbreiten.
Ebenso bestimmt Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950:
- Jeder hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein.
... Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt nicht nur ein aktives Handeln zur Informationsverschaffung, sondern ebenso die schlichte Entgegennahme von Informationen. Das Grundgesetz will eine möglichst umfassende Unterrichtung des Einzelnen gewährleisten. Eine "Unterrichtung" ist auch aus Quellen möglich, die ohne Zutun des Empfängers in seinen Wahrnehmungsbereich gelangen. Denn nur der Besitz von Informationen ermöglicht eine selbständige Auswahl. Dieser Aspekt des Auswählenkönnens ist der Grundtatbestand jeder Information. Wäre durch die Informationsfreiheit nicht garantiert, daß Informationsquellen überhaupt an den Einzelnen gelangen, dann wäre er auch daran gehindert, durch aktive Tätigkeit unter ihnen auszuwählen. Mit "sich unterrichten" ist daher auch der rein geistige Vorgang der Aufnahme der Information gemeint. Eine solche "Unterrichtung" des Einzelnen liegt schon dann vor, wenn die Information auf dem Postweg an ihn herangebracht wird. Wird der Zugang auf diesem Weg unterbrochen, so kann einer späteren Berufung auf die Informationsfreiheit nicht entgegengehalten werden, er habe die Druckschrift nicht bestellt, es liege daher kein Eingriff in die Freiheit der "Unterrichtung" vor. Daß sich der Unterrichtungswille unter Umständen erst nach Erhalt der Postsendung aktualisiert, liegt in der Natur dieses Rechts."<ref>BVerfG, Beschluss vom 03.10.1969 - 1 BvR 46/65 = BVerfGE 27,71; NJW 1970, 235 Leipziger Volkszeitung</ref>
Schutzbereich
Allgemein zugängliche Quellen
...Die Informationsfreiheit ist verfassungsrechtlich nur dann gewährleistet, wenn die Informationsquelle allgemein zugänglich ist.
Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Informationsquelle technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d. h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Zeitungen und andere Massenkommunikationsmittel sind daher von Natur aus allgemein zugängliche Informationsquellen. Sie verlieren die Eigenschaft als allgemein zugängliche Quelle auch dann nicht, wenn durch staatliche Maßnahmen wie Einziehungen, Importverbote oder -beschränkungen die Möglichkeit des allgemeinen Zugangs beeinträchtigt wird. Solche Beschränkungen, die dem ungehinderten Zugang zur Informationsquelle entgegenstehen, beseitigen nicht die Allgemeinzugänglichkeit<ref>vgl. auch Herzog in Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Rdnr. 89 ff.; Lerche, Stichwort "Informationsfreiheit" in Evangelisches Staatslexikon, 1966, Sp. 785 [786]</ref>. Entscheidend ist allein die tatsächliche Art der Abgabe der Information, nicht die staatliche Bestimmung oder Verfügung.
Die Ansicht, die Allgemeinzugänglichkeit werde maßgebend von Hoheitsakten beeinflußt<ref>Hamann, Das Grundgesetz, 2. Aufl., 1961, Anm. B 5 zur Art. 5; Dürig, AöR, Bd. 81, S. 117 [139]; vgl. auch BTDrucks. IV/2476 S. 34 und BTDrucks. V/1319 S. 75</ref>, widerspricht dem Zweck der verfassungsrechtlichen Verbürgung der Informationsfreiheit. Dem Einzelnen soll ermöglicht werden, sich seine Meinung auf Grund eines weitgestreuten Informationsmaterials zu bilden. Er soll bei der Auswahl des Materials keiner Beeinflussung durch den Staat unterliegen. Da die Informationsfreiheit infolge ihrer Verbindung mit dem demokratischen Prinzip gerade auch dazu bestimmt ist, ein Urteil über die Politik der eigenen Staatsorgane vorzubereiten, muß das Grundrecht vor Einschränkungen durch diese Staatsorgane weitgehend bewahrt werden.
Die wegen der Neuartigkeit des Grundrechts der Informationsfreiheit besonders bedeutsame Entstehungsgeschichte zeigt ebenfalls, daß die Allgemeinzugänglichkeit allein nach tatsächlichen Kriterien zu bemessen ist. Die Informationsfreiheit wurde gerade als Reaktion auf die nationalsozialistischen Informationsverbote und -beschränkungen verfassungsrechtlich garantiert, um die ungehinderte Unterrichtung auch aus Quellen, die außerhalb des Herrschaftsbereiches der Staatsgewalt der Bundesrepublik bestehen, zu gewährleisten. Wenn die Informationsquelle an irgendeinem Ort allgemein zugänglich ist, mag dieser auch außerhalb der Bundesrepublik liegen, dann kann auch ein rechtskräftiger Einziehungsbeschluß nicht dazu führen, dieser Informationsquelle die Eigenschaft der allgemeinen Zugänglichkeit zu nehmen.
Auch die Gesetzessystematik des Art. 5 GG führt zu demselben Ergebnis. Die Schranke der "allgemeinen Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG bezieht sich auf alle in Abs. 1 normierten Grundrechte. Für die Informationsfreiheit wäre die Schranke des Abs. 2 aber weitgehend gegenstandslos, wenn der Staat die Allgemeinzugänglichkeit bestimmen und auf diesem Wege den Umfang des Grundrechts beliebig begrenzen könnte.
Eine allgemein zugängliche Quelle verliert diese Eigenschaft auch nicht, wenn sie den Inhalt einer Postsendung bildet. Bei der Frage der Allgemeinzugänglichkeit ist nicht auf das Einzelexemplar abzustellen, sondern auf die gesamte Auflage einer Zeitschrift. Sie bildet die Quelle i. S. des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Verschaffung des Einzelexemplars ist nur die Konkretisierung der Freiheit, sich zu unterrichten."<ref>BVerfG, Beschluss vom 03.10.1969 - 1 BvR 46/65 = BVerfGE 27,71; NJW 1970, 235 Leipziger Volkszeitung</ref>
Einzelfälle
Ja
Die Qualifizierung als allgemein zugängliche Quelle wurde in folgenden Fällen bejaht:
- Fernsehberichterstattung im Gericht außerhalb der mündlichen Verhandlung bei gewichtigem öffentlichem Informationsinteresse<ref>BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 620/07</ref>
Nein
Die Qualifizierung als allgemein zugängliche Quelle wurde in folgenden Fällen verneint:
- Gerichtsverhandlung<ref>BVerfG, Urteil vom 24.01.2001 - 1 BvR 2623/95; 1 BvR 622/99 = BVerfGE 103, 44; NJW 2001, 1633 Ausschluss von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen in Gerichtsverhandlungen</ref>
Normen
- GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2
- AEMR Art. 19 Meinungs- und Informationsfreiheit
- AEUV Art. 15 Abs. 3
- Informationsfreiheitsgesetz - (IFG)
- BV Art. 112 Abs. 2
- GVG § 169
- Bayerisches Umweltinformationsgesetz (BayUIG) vom 8. Dezember 2006
Rechtsprechung
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
- EGMR, Urteil vom 22.5.1990, Nr. 17/1989/175/231 = EuGRZ 1990, 261 ff.; NJW 1991, 620
Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
- BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 620/07 - Fernsehberichterstattung im Gericht außerhalb der mündlichen Verhandlung
- BVerfG, Urteil vom 24.01.2001 - 1 BvR 2623/95; 1 BvR 622/99 = BVerfGE 103, 44; NJW 2001, 1633 Ausschluss von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen in Gerichtsverhandlungen
- BVerfG, Beschluss vom 27.03.1973 - 2 BvR 684/72 = BVerfGE 35, 307
- BVerfG, Beschluss vom 14.10.1969 - 1 BvR 30/66 = BVerfGE 27, 88; NJW 1970, 238
- BVerfG, Beschluss vom 03.10.1969 - 1 BvR 46/65 = BVerfGE 27,71; NJW 1970, 235 - Leipziger Volkszeitung
Publikationen
Links
- Transparenzportal der Europäischen Kommission
- Protokolle 130. Plenarsitzung Bayerischer Landtag vom 02.07.2013 zu Transparenzgesetz auswerten
Siehe auch
Fußnoten
<references />