Grundrecht auf Freizügigkeit

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Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. (GG Art. 11 Abs. 1)

Schutzbereich

Persönlicher Schutzbereich

Sachlicher Schutzbereich

Freie Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts

"Art. 11 GG gewährleistet in Anerkennung freier und selbstbestimmter Lebensgestaltung allen Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Mit der freien Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts schützt er die eigene Lebensplanung und -gestaltung vor staatlicher Einmischung.

aa) Das Grundrecht auf Freizügigkeit steht historisch in der Tradition der im Mittelalter den Freien vorbehaltenen Freizügigkeit<ref>(vgl. Durner, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rn. 6 [August 2012])</ref>. In den deutschen Verfassungen des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts wurde das Recht auf Freizügigkeit dann allen Staatsbürgern garantiert; es war damals eng mit der Berufs- und Gewerbefreiheit verknüpft<ref>(vgl. § 133 der Paulskirchenverfassung von 1849 und Art. 111 WRV sowie § 1 des Freizügigkeitsgesetzes des Norddeutschen Bundes von 1867 [Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1867, S. 55]; ebenso auch noch der erste Entwurf eines Grundrechts auf Freizügigkeit im Parlamentarischen Rat, vgl. Fünfte Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, 29. September 1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948—1949, Akten und Protokolle, Bd. 5/I, Ausschuss für Grundsatzfragen, S. 88 ff.)</ref>. Ungeachtet der Gewährleistung der Berufsfreiheit als eigenständiges Grundrecht in Art. 12 GG ist die Garantie der freien Wahl von Aufenthalts- und Wohnort in einer arbeitsteiligen und ausdifferenzierten Gesellschaft Grundbedingung einer freien Berufswahl und eigenverantworteten Sicherung des Lebensunterhalts. Das Grundrecht auf Freizügigkeit gewährleistet aber auch unabhängig von seinen Bezügen zur Berufswahl die freie Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts als Ausdruck selbstbestimmter Lebensgestaltung. Es anerkennt das Recht, sich in freier Entscheidung jederzeit an grundsätzlich jeden Ort im Bundesgebiet ungehindert und ohne behördliche Erlaubnis begeben und dort aufhalten zu können.

bb) Freizügigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG bedeutet das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen<ref>(vgl. BVerfGE 2, 266 [273]; 43, 203 [211]; 80, 137 [150]; 110, 177 [190 f.])</ref>. Hierzu zählt die Einreise nach Deutschland zum Zwecke der Wohnsitznahme<ref>(vgl. BVerfGE 2, 266 [273]; 43, 203 [211]; 110, 177 [191])</ref> und die Freizügigkeit zwischen Ländern, Gemeinden und innerhalb einer Gemeinde<ref>(vgl. BVerfGE 110, 177 [191]; siehe auch BVerfGE 8, 95 [97])</ref>."<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>

Verbleiben an dem in Freizügigkeit gewählten Ort

"Das Grundrecht auf Freizügigkeit garantiert nicht nur die Freiheit des Zuzugs zu einem Ort im Bundesgebiet, es schützt auch das Verbleiben an dem in Freizügigkeit gewählten Ort und damit grundsätzlich auch vor erzwungenen Umsiedlungen. Dass Art. 11 Abs. 1 GG neben der Freiheit des Ziehens auch das Recht schützt, an einem in Ausübung dieser Freiheit gewählten Ort frei von staatlichem Zwang zum Verlassen oder zum Wegzug verbleiben zu dürfen, ist mittlerweile in der Rechtsprechung anerkannt<ref>(vgl. den angegriffenen und insoweit auch nicht beanstandeten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2008 – BVerwG 7 B 20.08 –, NVwZ 2009, S. 331 [Tz. 7]; BbgVerfG, Urteil vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LKV 1998, S. 395 [406] und Beschluss vom 28. Juni 2001 – VfGBbg 44/00 –, juris Rn. 35)</ref> und entspricht einhelliger Auffassung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum<ref>(vgl. nur Durner, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rn. 91 [August 2012]; Gnatzy, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 11 Rn. 8; F. Wollenschläger, in: Dreier, GG, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 11 Rn. 37; Guckelberger, in: Festschrift für Wilfried Fiedler, 2011, S. 123 [135]; Hailbronner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 3. Aufl. 2009, § 152 Rn. 46; Jarass, in: ders. /Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 11 Rn. 3; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 11 Rn. 18; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 11 Rn. 17; Ziekow, in: Berliner Kommentar zum GG, Bd. 1, Art. 11 Rn. 58 [2002]; jeweils m. w. N.)</ref>.

Das Recht, an jedem Ort im Bundesgebiet Aufenthalt oder Wohnsitz zu nehmen, könnte ausgehöhlt und entwertet werden, wenn das Grundrecht nicht auch das Recht umfasste, an dem frei gewählten Ort verweilen oder wohnen zu dürfen. Sonst stünde den Bürgerinnen und Bürgern kein dem Zuzugsrecht vergleichbarer verfassungsrechtlicher Schutz dagegen zu, unmittelbar nach Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts sogleich wieder durch staatliche Maßnahmen von dem gewählten Ort verwiesen oder vertrieben zu werden."<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>

Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung stehen einem Daueraufenthalt entgegen

"Das Grundrecht auf Freizügigkeit berechtigt allerdings nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen und so bereits den Zuzug ausschließen oder einschränken oder, wenn sie erst nachträglich aufgestellt werden, letztlich zum Wegzug zwingen. Solche Regelungen berühren jedenfalls dann nicht den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG, wenn sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen treffen sollen.

aa) Art. 11 Abs. 1 GG gewährt ein Recht zum Zuzug und Aufenthalt grundsätzlich nur dort, wo jeder Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann. Einen Anspruch auf Schaffung und Erhalt der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt vermittelt Art. 11 Abs. 1 GG dagegen nicht. Die Ausgestaltung der rechtlichen Voraussetzungen für die mit einem Aufenthalt verbundene konkret zulässige Bodennutzung an einem bestimmten Ort berührt daher grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Freizügigkeit, sondern formt die Wahrnehmungsvoraussetzungen dieses Grundrechts aus<ref>(im Wesentlichen ebenso der angegriffene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2008 – BVerwG 7 B 20.08 –, NVwZ 2009, S. 331 [Tz. 8 f.]; ferner BbgVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2001 – VfGBbg 44/00 –, juris Rn. 36 sowie Durner, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rn. 121 [August 2012]; Gnatzy, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 11 Rn. 11a; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 11 Rn. 29; Rittstieg, in: AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 11 Rn. 31; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, 29. Aufl. 2013, Rn. 867; Stern [Sachs], Staatsrecht, Bd. IV/1, 2006, S. 1142; anderer Ansicht etwa Guckelberger, in: Festschrift für Wilfried Fiedler, 2011, S. 123 [142]; Randelzhofer, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 11 Rn. 43 [Oktober 1981])</ref>. Zu den Normen, die in dieser Weise die Voraussetzungen der Wahrnehmung des Grundrechts gestalten, gehören bei dem notwendig auf die Nutzung des Raumes angewiesenen Freizügigkeitsrecht namentlich die Bestimmungen über die Bodennutzung wie etwa das Bau-, das Raumordnungs-, das Infrastrukturplanungs-, das Natur- und Landschaftsschutz- oder – wie hier – das Bergrecht.

Diese Einordnung der die Bodennutzung regelnden Vorschriften außerhalb des Schutzbereichs der Freizügigkeit gilt nicht nur für Beschränkungen des Zuzugs, sondern auch für solche Regelungen, die zu einem Wegzug oder zum Verlassen eines dauerhaften Aufenthalts veranlassen oder gar dazu zwingen. Ebenso wie beispielsweise das bauplanungsrechtliche Hindernis für einen Zuzug ist auch die Enteignung eines Hausgrundstücks für eine nachträglich geplante Infrastrukturmaßnahme Folge bestehender oder veränderter Wahrnehmungsbedingungen des Freizügigkeitsrechts, berührt aber nicht den Schutzbereich dieses Grundrechts. Anderes kann dann gelten, wenn solche Regelungen nicht allgemein gelten, sondern direkt auf die Einschränkung der Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen zielen. Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch ersichtlich nicht vor."<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>

Entstehungsgeschichte

Entstehungsgeschichte ((1)) sowie Schutzzweck und Systematik ((2)) stützen dieses Verständnis des Freizügigkeitsrechts.

Die Entstehungsgeschichte des Art. 11 GG zeigt, dass die Diskussion um die Aufnahme dieses Grundrechts in das Grundgesetz und um seine Ausgestaltung stark von den besonderen Herausforderungen Westdeutschlands angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen in der amerikanischen, der britischen und der französischen Besatzungszone und der Erwartung weiterer einreisebereiter Deutscher geprägt war. Dabei ging es in erster Linie um die Frage, ob unter den damaligen Bedingungen überhaupt allen Deutschen ein Recht auf Freizügigkeit eingeräumt werden könne<ref>(vgl. Dritte und Fünfte Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, 21. und 29. September 1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948—1949, Akten und Protokolle, Bd. 5/I, Ausschuss für Grundsatzfragen, S. 59 und 89; Dreiundzwanzigste Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, 19. November 1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948—1949, Akten und Protokolle, Bd. 5/II, Ausschuss für Grundsatzfragen, S. 613; Vierundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses, 19. Januar 1949, in: Der Parlamentarische Rat 1948—1949, Akten und Protokolle, Bd. 14/2, Hauptausschuss, S. 1390 ff.)</ref>. Anhaltspunkte dafür, dass mit dem Recht auf Freizügigkeit und seiner bewusst engen Schrankenregelung die auch damals schon bestehenden und praktizierten rechtlichen Möglichkeiten der Planung und Gestaltung von Bodennutzung – beispielsweise durch die Errichtung von Talsperren oder den Bau von Straßen und Schienenwegen – spürbar eingeschränkt werden sollten, lassen sich den Materialien zu Art. 11 GG an keiner Stelle entnehmen. Die ausführliche Diskussion der Schrankenproblematik in der Sechsunddreißigsten Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 27. Januar 1949<ref>(vgl. Der Parlamentarische Rat 1948—1949, Akten und Protokolle, Bd. 5/II, Ausschuß für Grundsatzfragen, S. 1038 ff.)</ref> legt im Gegenteil den Schluss nahe, dass im Parlamentarischen Rat fehlende tatsächliche und rechtliche Bedingungen für eine Wohnsitznahme – etwa fehlender Wohnraum in einem Katastrophengebiet – nicht als Einschränkung des Freizügigkeitsgrundrechts verstanden wurden<ref>(vgl. dazu die Ausführungen des Abgeordneten von Mangoldt, a. a. O., S. 1044 f.)</ref>."<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>

Schutzgehalt

"Das Grundrecht auf Freizügigkeit entfaltet seinen freiheitlichen Schutzgehalt, indem es allen Deutschen die Möglichkeit garantiert, ungehindert von staatlichen Restriktionen von Ort zu Ort ziehen und dort Aufenthalt und Wohnsitz nehmen zu können, sei es zum Zwecke der Berufsausübung, sei es aus sonst frei gewählten Gründen der eigenen Lebensgestaltung. Diese Freizügigkeit wird in ihrem freiheitlichen Gewährleistungsgehalt nicht geschmälert durch die Berücksichtigung allgemein geltender Regelungen der Bodennutzung und verlangt deshalb auch nicht die Freistellung von ihnen.

Die bodenrechtliche Eignung oder Zulässigkeit des angestrebten Aufenthalts oder der ausgeübten Wohnsitznahme garantiert Art. 11 Abs. 1 GG nicht. Wären die allgemeinen Regeln der Bodennutzung oder Bodenordnung und ihre Umsetzung als Eingriffe in den Schutzbereich des Grundrechts auf Freizügigkeit zu verstehen, wäre angesichts der engen Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG eine sinnvolle Steuerung der Siedlungsentwicklung und anderweitigen Bodennutzung mit Hilfe des Raumordnungs- und Bauplanungsrechts und der sonstigen Instrumente raumbezogener Fachplanung kaum möglich. Die Ausgestaltung der Einschränkungsmöglichkeiten des Freizügigkeitsrechts in Art. 11 Abs. 2 GG spricht gegen ein die rechtlichen Voraussetzungen der Bodennutzung einschließendes Schutzbereichsverständnis des Art. 11 Abs. 1 GG. Danach darf das Freizügigkeitsrecht nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist. Keiner der genannten Fälle erfasst Konstellationen, in denen aufgrund raumbedeutsamer Planungen oder sonstiger Maßnahmen der Bodennutzung durch den Staat Betroffene am Zuzug gehindert oder zur Aufgabe des Wohnsitzes oder zum Wechsel des Aufenthaltsortes gezwungen werden. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass raumbeanspruchende Großprojekte oder sonstige raumbedeutsame Planungen unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr zulässig seien oder untragbar erschwert werden sollten."<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>

Kein Recht auf Heimat

"Ein eigenständiges Recht auf Heimat im Sinne des mit dem gewählten Wohnsitz dauerhaft verbundenen städtebaulichen und sozialen Umfelds<ref>(in diese Richtung Baer, NVwZ 1997, S. 27 [30 ff.]; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 11 Rn. 17)</ref> gewährleistet Art. 11 Abs. 1 GG nicht.

Der Parlamentarische Rat hat es mit Blick auf die Folgen von Flucht und Vertreibung bewusst abgelehnt, ein eigenes Recht auf Heimat in das Grundgesetz aufzunehmen<ref>(vgl. Zweiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses, 18. Januar 1949, in: Der Parlamentarische Rat 1948—1949, Akten und Protokolle, Bd. 14/2, Hauptausschuss, S. 1293 ff. und Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 9. Sitzung, 6. Mai 1949, S. 175)</ref>. Hat ein gewählter und innegehabter Wohnsitz je nach zeitlicher Verfestigung im Hinblick auf die damit verbundenen sozialen Kontakte und Bindungen im räumlichen Umfeld und seine Verwurzelung im konkreten städtebaulichen Kontext für den Wohnungsinhaber eine besondere Qualität, so verleiht das dem aus Art. 11 Abs. 1 GG fließenden Bleiberecht erhöhtes Gewicht, sofern der Schutzbereich dieses Grundrechts überhaupt berührt ist (siehe vorstehend b). Gerade umfangreiche Umsiedlungen, wie beispielweise die dem großflächigen Tagebau geschuldeten, führen zu außergewöhnlichen Belastungen gewachsener sozialer Beziehungen und örtlich-räumlicher Verbindungen, da sie das Verschwinden ganzer Gemeinden einschließlich aller zugehöriger Baulichkeiten und Infrastruktureinrichtungen zur Folge haben können. All dem ist im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das Grundrecht auf Freizügigkeit oder, sofern dessen Schutzbereich nicht berührt ist, des sonst dadurch betroffenen Grundrechts (siehe dazu unten 2. a) angemessen Rechnung zu tragen.

d) Eine verfassungsrechtliche Schutzlücke ergibt sich für die Betroffenen weder dadurch, dass das Grundgesetz kein eigenständiges Recht auf Heimat vorsieht, noch dadurch, dass ein durch Maßnahmen zur Bodenordnung und Regelungen der Bodennutzung verursachter Zwang zur Aufgabe des Aufenthalts oder Wohnsitzes keine Beeinträchtigung des Schutzbereichs von Art. 11 Abs. 1 GG bedeutet. Die mit dem Verlust der sozialen und räumlich-städtebaulichen Beziehungen einhergehenden besonderen Belastungen der Betroffenen finden nämlich Berücksichtigung im Rahmen des Grundrechtsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 und 3 GG, sofern es sich um Eigentumseingriffe handelt (siehe unten 2. a), ansonsten über Art. 2 Abs. 1 GG."<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

"Diese Auslegung des Art. 11 GG steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hat in den durch den Braunkohlentagebau Horno bedingten Umsiedlungen einen Eingriff sowohl in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK als auch in das im Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verbürgte Freizügigkeitsrecht gesehen<ref>(vgl. EGMR, Entscheidung vom 25. Mai 2000 – Beschwerde Nr. 46346/99 (Noack) –, LKV 2001, S. 69 [71 f.])</ref>. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält den Eingriff nach Maßgabe der gegenüber Art. 11 Abs. 2 GG großzügigeren Schrankenregelung im Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten für gerechtfertigt. Das widerspricht im Ergebnis nicht der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts, das ausgehend von dem strengen Schrankenregime des Art. 11 Abs. 2 GG den Schutzbereich des Grundrechts auf Freizügigkeit nicht berührt sieht, sondern Schutz gegen die von Umsiedlungsmaßnahmen ausgehenden besonderen Belastungen vor allem über Art. 14 oder Art. 2 Abs. 1 GG gewährt (siehe unten 2. a). Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen<ref>(vgl. BVerfGE 111, 307 [315 ff.]; 128, 326 [366 ff.]; 131, 268 [295 f.])</ref>. Die Heranziehung als Auslegungshilfe verlangt keine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern ein Aufnehmen von deren Wertungen, soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist<ref>(vgl. BVerfGE 111, 307 [315 ff.]; 128, 326 [366 ff.]; 131, 268 [295])</ref>."<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>"<ref>Quelle: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 Abs. 249-264</ref>

Nicht: Ausreisefreiheit

GG Art. 11 betrifft nicht die Ausreisefreiheit. Die Ausreisefreiheit ist als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit durch GG Art. 2 Abs. 1 innerhalb der Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet.<ref>BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 - 1 BvR 253/56 Amtliche Leitsätze 1 und 2</ref>

Art. 11 Abs. 1 GG gewährleistet die Freizügigkeit "im ganzen Bundesgebiet". Schon dieser Wortlaut spricht nicht dafür, dass auch ein Grundrecht auf freie Ausreise aus dem Bundesgebiet gewährt werden sollte. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gibt dafür keinen Anhalt. Im Parlamentarischen Rat wurde die Frage erörtert (und schließlich verneint), ob man die Auswanderungsfreiheit in den Grundrechtskatalog aufnehmen solle<ref>(5. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 29. September 1948, Kurzprot. S. 3)</ref>; über die Ausreisefreiheit wurde nicht gesprochen.

"Das Grundrecht der Freizügigkeit darf nur unter bestimmten in Art. 11 Abs. 2 GG einzeln aufgeführten Voraussetzungen gesetzlich eingeschränkt werden. Bei der Formulierung der Einschränkungstatbestände hat der Grundgesetzgeber offensichtlich an Beschränkungen der innerstaatlichen Freizügigkeit gedacht; die herkömmlichen und sachgerechten Beschränkungen der Ausreisefreiheit sind nicht erwähnt. Die Ausreise aus dem Staatsgebiet kann in vielen Ländern - auch in freiheitlichen Demokratien - seit langem mittels der Paßversagung aus Gründen der Staatssicherheit beschränkt werden. In Deutschland gelten entsprechende Vorschriften ununterbrochen seit dem ersten Weltkrieg; sie sind im wesentlichen unverändert in das Paßgesetz von 1952 übernommen worden. Es ist nicht anzunehmen, daß der Grundgesetzgeber, wenn er in Art. 11 GG ein Grundrecht der Ausreisefreiheit hätte gewähren wollen, den wichtigen und seit langem bestehenden Einschränkungsgrund der Staatssicherheit übersehen haben sollte. Näher liegt die Annahme, daß er die Ausreisefreiheit in Art. 11 Abs. 1 GG nicht garantieren wollte. Davon ist auch der Gesetzgeber des Paßgesetzes offensichtlich ausgegangen; denn er hat weder die Paßversagungsgründe inhaltlich auf Art. 11 Abs. 2 GG abgestimmt noch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG erwogen, im Paßgesetz das Grundrecht der Freizügigkeit als eingeschränktes Grundrecht zu nennen. Auch bei den wiederholten Aussprachen über die Lockerung oder Aufhebung des Paßzwanges, die im Bundestag aus Anlaß entsprechender Empfehlungen des Europarates stattgefunden haben<ref>(BT II/1953, 18. und 137. Sitzung, StenBer. S. 659 f., 7112 f., 7115 f.; BT II/1953 Drucks. 198, 499, 2011, 2044, 2516)</ref> ist von keiner Seite ein Zusammenhang dieser Frage mit dem Grundrecht der Freizügigkeit hergestellt worden.
Bei dieser Sachlage kann sich das Bundesverfassungsgericht nicht davon überzeugen, daß es aus Gründen der Systematik geboten sei - wie es im Schrifttum vertreten wird -, das Recht auf freie Ausreise in die in Art. 11 GG garantierte Freizügigkeit einzubeziehen. Dennoch entbehrt die Ausreisefreiheit als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht eines angemessenen grundrechtlichen Schutzes (Art. 2 Abs. 1 GG)."<ref>BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 - 1 BvR 253/56 Abs. 10-12</ref>

Eingriff

Rechtfertigung

Schranken

Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden (qualifizierter Gesetzesvorbehalt, GG Art. 11 Abs. 2).

Schranken-Schranken

Ausreichende Lebensgrundlage ist nicht vorhanden und der Allgemeinheit würden daraus besondere Lasten entstehen

Wohnraum gehört nicht zur Lebensgrundlage.<ref>BVerwG, Urteil vom 10.02.1956 - IV C 66.55 Amtlicher Leitsatz 3</ref>

Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes

Zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen

Zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung

Um strafbaren Handlungen vorzubeugen

Normen

Grundgesetz (GG)

Verfassung des Freistaates Bayern (BV)

Infektionsschutzgesetz (IfSG)

Rechtsprechung

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Bundesarbeitsgericht (BAG)

Oberverwaltungsgerichte

Publikationen

Lexika

Fachartikel

Links

Siehe auch

Fußnoten

<references/>