Vorbefasstes Unternehmen
Hat ein Unternehmen oder ein mit ihm in Verbindung stehendes Unternehmen den öffentlichen Auftraggeber beraten oder war auf andere Art und Weise an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens beteiligt (vorbefasstes Unternehmen), so ergreift der öffentliche Auftraggeber angemessene Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme dieses Unternehmens nicht verzerrt wird. (VgV § 7 Abs. 1)
Die Maßnahmen nach Absatz 1 umfassen insbesondere die Unterrichtung der anderen am Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen in Bezug auf die einschlägigen Informationen, die im Zusammenhang mit der Einbeziehung des vorbefassten Unternehmens in der Vorbereitung des Vergabeverfahrens ausgetauscht wurden oder daraus resultieren, und die Festlegung angemessener Fristen für den Eingang der Angebote und Teilnahmeanträge. (VgV § 7 Abs. 2)
Vor einem Ausschluss nach GWB § 124 Absatz 1 Nummer 6 ist dem vorbefassten Unternehmen die Möglichkeit zu geben nachzuweisen, dass seine Beteiligung an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens den Wettbewerb nicht verzerren kann.
Normen
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
- GWB § 124 Fakultative Ausschlussgründe
Vergabeverordnung (VgV)
Sektorenverordnung (SektVO)
Rechtsprechung
Europäischer Gerichtshof (EuGH)
- EuGH, Urteil vom 03.03.2005 – C-21/03: "1. Die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in der Fassung der Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997, insbesondere ihr Artikel 3 Absatz 2, die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge in der Fassung der Richtlinie 97/52, insbesondere ihr Artikel 5 Absatz 7, die Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 97/52, insbesondere ihr Artikel 6 Absatz 6, und die Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der Fassung der Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998, insbesondere ihr Artikel 4 Absatz 2, stehen einer Bestimmung wie Artikel 26 der Königlichen Verordnung vom 25. März 1999 zur Änderung der Königlichen Verordnung vom 10. Januar 1996 über öffentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor und Artikel 32 der Königlichen Verordnung vom 25. März 1999 zur Änderung der Königlichen Verordnung vom 8. Januar 1996 über öffentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowie öffentliche Baukonzessionen entgegen, nach der eine Person, die mit Forschungs-, Erprobungs-, Planungs- oder Entwicklungsarbeiten für Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen betraut war, nicht zur Einreichung eines Antrags auf Teilnahme an einem öffentlichen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag oder eines Angebots für einen solchen Auftrag zugelassen ist, ohne dass ihr die Möglichkeit gegeben wird, zu beweisen, dass nach den Umständen des Einzelfalls die von ihr erworbene Erfahrung den Wettbewerb nicht hat verfälschen können. 2. Die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, insbesondere ihre Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a und 5, sowie die Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor und insbesondere ihre Artikel 1 und 2 stehen dem entgegen, dass der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen, das mit einer Person verbunden ist, die mit Forschungs-, Erprobungs-, Planungs- oder Entwicklungsarbeiten für Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen betraut war, bis zum Ende des Verfahrens der Prüfung der Angebote von der Teilnahme an dem Verfahren oder von der Abgabe eines Angebots ausschließen kann, obwohl dieses Unternehmen auf Befragung durch den öffentlichen Auftraggeber versichert, dass ihm hieraus kein ungerechtfertigter Vorteil erwachse, der geeignet wäre, den normalen Wettbewerb zu verfälschen."<ref>Amtlicher Leitsatz</ref>
Oberlandesgerichte
- OLG Jena, Beschluss vom 08.04.2003 - 6 Verg 9/02: - Ausschluss bei Vorbefassung: "Ein Architekt der für die Vergabestelle im Vorfeld der Ausschreibung von Architektenleistungen Vorleistungen im Umfang der Leistungsphasen 1 und 2 im Sinne der HOAI erbringt, ist als Bewerber auszuschließen."<ref>Quelle: IBR 2003, 325</ref>
Vergabekammern
- VK Bund, Beschluss vom 24.05.2012 - VK 3-45/12: "Hat ein Bieter vor Einleitung des Vergabeverfahrens den Auftraggeber beraten oder sonst unterstützt, verpflichtet § 4 Abs. 5 VOF den Auftraggeber sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme dieses Bieters nicht verfälscht wird. Beteiligt sich ein Projektant an einer Ausschreibung, verfügt er über einen Informationsvorsprung vor allen anderen Bietern. Es droht eine Beeinträchtigung des Grundsatzes des chancengleichen Wettbewerbs. Der EuGH beurteilt die Beteiligung von Projektanten grundsätzlich als Gefährdung eines leistungsfähigen Wettbewerbs (EuGH, Urteil vom 3. März 2005, C-21/03; vgl. auch OLG München, Beschluss vom 10. Februar 2011, Verg 24/10). Allerdings soll nach der Rechtsprechung der Ausschluss eines Projektanten gerade nicht die zwangsläufige Folge sein. Als ultima ratio kann ein vorbefasster Bieter nur dann ausgeschlossen werden, wenn eine Wettbewerbsverfälschung durch Ausgleich des Informationsvorsprungs des Projektanten nicht erfolgen kann."
- VK Nordbayern, Beschluss vom 04.05.2009 - 21.VK-3194-06/09: Kein grundsätzlicher Ausschluss des vorbefassten Bewerbers vom Wettbewerb
- VK Bund, Beschluss vom 01.09.2005 - VK 1-98/05: "Der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist<ref>(EuGH, Urteil vom 3. März 2005, aaO., Rz. 27 m.w.N.)</ref>. Zwar befindet sich eine Person, die mit Forschungs-, Planungs- oder Entwicklungsarbeiten für Dienstleistungen hinsichtlich eines öffentlichen Auftrags betraut war, in Bezug auf die Teilnahme am Verfahren zur Vergabe dieses Auftrags nicht notwendig in der gleichen Situation wie jemand, der keine derartigen Arbeiten ausgeführt hat<ref>(EuGH, Urteil vom 3. März 2005, aaO., Rz. 28)</ref>. Eine Person, die bestimmte vorbereitende Aufgaben ausgeführt hat, kann nämlich zum Einen wegen der Informationen, die sie im Hinblick auf den fraglichen öffentlichen Auftrag erlangen konnte, bei der Erstellung ihres Angebots begünstigt sein. Alle Bieter müssen aber bei der Erstellung ihrer Angebote über die gleichen Chancen verfügen<ref>(EuGH, Urteil vom 3. März 2005, aaO., Rz. 29 m.w.N.)</ref>. Zum Anderen kann sie sich in einer Lage befinden, die möglicherweise insoweit auf einen Interessenkonflikt hinausläuft, als sie die Bedingungen für den fraglichen öffentlichen Auftrag, und sei es unbeabsichtigt, in einem für sie günstigen Sinne beeinflussen kann, wenn sie selbst Bieter für diesen Auftrag ist. Eine solche Situation wäre geeignet, den Wettbewerb zwischen den Bietern zu verfälschen<ref>(EuGH, Urteil vom 3. März 2005, aaO., Rz. 30)</ref>. Jedenfalls gebietet es der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 der EG-Richtlinie 92/50, dass die vorbefasste Person die Möglichkeit hat, zu beweisen, dass nach den Umständen des Einzelfalls die von ihr erworbene Erfahrung den Wettbewerb nicht hat verfälschen können<ref>(EuGH, Urteil vom 3. März 2005, aaO., Rz.36)</ref>. Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die Vergabestelle verpflichtet ist, die aus der im Vorfeld der Vergabe erbrachten Projektantenleistung gewonnenen Informationen allen potenziellen Teilnehmern bekannt zu machen. Sie trifft die Pflicht, alle Teilnehmer mit den gleichen Informationen zu versorgen<ref>(vgl. EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2003, Rs. C-448/01; EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2002, Rs. C-470/99)</ref>. Dies kann u.a. durch umfassende, transparente Verdingungsunterlagen erfolgen, die alle im Vorfeld einzelnen Teilnehmern bekannten Informationen enthalten. Die Vergabestelle muss zudem ausreichend lange Fristen zur Bearbeitung der Verdingungsunterlagen gewähren, um Wettbewerbsvorteile auszugleichen,"<ref>S. 17 f.</ref>
Siehe auch
- Angebotsausschluss
- Bedarfsermittlung
- Gleichbehandlung (Vergabegrundsatz)
- Grundlagenermittlung
- Vorbefasstheit bei Planungswettbewerben
Fußnoten
<references/>