Frage
"Fragen unterscheiden sich von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen dadurch, dass sie keine Aussage machen, sondern eine Aussage herbeiführen wollen. Sie sind auf Antwort gerichtet. Diese kann in einem Werturteil oder einer Tatsachenmitteilung bestehen. Dagegen lassen sich Fragen keinem der beiden Begriffe zuordnen, sondern bilden eine eigene semantische Kategorie. Sie fallen deswegen aber nicht aus dem Schutzbereich des Grundrechts heraus. Das ergibt sich aus dessen Schutzzweck. Die freie Meinungsäußerung wird vom Grundgesetz garantiert, weil sie sowohl unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Person als auch unerlässliche Voraussetzung einer demokratischen Ordnung ist<ref>vgl. BVerfGE 7, 198 (208)</ref>. Daher erschöpft sich das Grundrecht des GG Art. 5 Abs. 1 auch nicht im Schutz einzelner Äußerungen, sondern will die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung insgesamt sichern<ref>vgl. BVerfGE 57, 295 (319)</ref>. Für den Meinungsbildungsprozeß spielen Fragen aber eine wichtige Rolle. Indem sie die Aufmerksamkeit auf Probleme lenken und Antworten hervorrufen, tragen sie zur Bildung von Meinungen bei, die dann ihrerseits wieder geäußert werden können. Das ist um so wichtiger, als in vielen Bereichen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen oder berühren, der Einzelne nicht über die für seine Meinungsbildung erforderlichen Informationen verfügt, so dass ihm nur die Möglichkeit kritischer oder nachforschender Fragen bleibt. Fehlte der Grundrechtsschutz für Fragen, so wäre der Kommunikationsprozess, den Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit schützen will, nur unzureichend gesichert.
Neben Werturteilen und Tatsachenbehauptungen sind daher auch Fragen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen können Fragen aber nicht unrichtig sein<ref>vgl. J. Walther, Logik der Fragen, 1985, S. 30 ff.</ref>. Zwar enthält jede Frage, indem sie sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, ausgesprochen oder unausgesprochen Annahmen tatsächlicher oder wertender Art, die der Fragende einer Verifizierung oder Klärung zuführen will. Insofern gibt es keine reinen Fragen, denen jeder Aussagegehalt fehlt. Da der Fragende aber gerade wissen will, was richtig oder falsch, wahr oder unwahr ist, und dabei für verschiedene Antworten offen bleibt, kann die Frage selber nicht an den Kriterien von Wahrheit oder Unwahrheit gemessen werden. Das gilt auch, wenn sich eine Frage auf Tatsachen bezieht, die sich anschließend als nicht gegeben herausstellen. Unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit stehen Fragen daher Werturteilen gleich.
Allerdings ist nicht jeder in Frageform gekleidete Satz als Frage zu betrachten. Insofern muss zwischen Fragen und Fragesätzen unterschieden werden<ref>vgl. Walther, a.a.O., S. 24 ff.; D. Wunderlich, Studien zur Sprechakttheorie, 1976, S. 181 ff.</ref>. Einerseits können Fragen in Aussagesätze, andererseits Aussagen in Fragesätze gekleidet sein. Ferner kann es vorkommen, dass in einem Fragesatz Behauptungen aufgestellt werden, auf die sich das Klärungsbegehren des Fragenden nicht bezieht. Ist ein Fragesatz nicht auf eine Antwort durch einen Dritten gerichtet oder nicht für verschiedene Antworten offen, so handelt es sich ungeachtet der geläufigen Bezeichnung als "rhetorische Frage" in Wahrheit nicht um eine Frage<ref>vgl. Walther, a.a.O., S. 26 ff.</ref>. Fragesätze oder Teile davon, die nicht um einer - inhaltlich noch nicht feststehenden - Antwort willen geäußert werden, bilden vielmehr Aussagen, die sich entweder als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung darstellen und rechtlich wie solche zu behandeln sind.
Die Unterscheidung zwischen echten und rhetorischen Fragen kann freilich Schwierigkeiten bereiten, weil die sprachliche Form allein keine zuverlässigen Schlüsse erlaubt. Die Zuordnung muß daher gegebenenfalls mit Hilfe von Kontext und Umständen der Äußerung erfolgen. Da vom Ergebnis der Zuordnung das Maß des Grundrechtsschutzes abhängt, verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG insoweit, daß für die Einstufung eines Fragesatzes als rhetorische Frage Gründe angegeben werden. Ist ein Fragesatz mehreren Deutungen zugänglich, von denen ihn eine als echte, die andere als rhetorische Frage erscheinen läßt, müssen die Gerichte beide Deutungen erwägen und ihre Wahl begründen. Dabei genügt der hohe Konkretisierungsgrad einer Frage für sich genommen nicht, um diese als rhetorisch auszuweisen. Je detailreicher eine Frage ist, desto höher ist zwar der Anteil von Aussagen, die sie enthält und auf die sich das Klärungsbegehren des Fragenden bezieht. Ein hoher Tatsachenanteil macht eine Frage aber noch nicht zur Tatsachenbehauptung. Auch bei hochgradig konkreten Fragesätzen hängt die Einordnung als echte oder rhetorische Frage nur davon ab, ob die Frage auf eine inhaltlich noch nicht feststehende Antwort zielt oder ob der Fragende den Zweck seiner Äußerung bereits mit der Stellung der Frage erreicht hat. Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes - ebenso wie von einem weiten Meinungsbegriff<ref>vgl. BVerfGE 61, 1 (9)</ref> - von einem weiten Fragebegriff auszugehen.
Die Meinungsfreiheit ist vom Grundgesetz jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern findet ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Allerdings müssen diese Bestimmungen ihrerseits wieder im Lichte des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt werden, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt<ref>vgl. BVerfGE 7, 198 (208 f.); st. Rspr.</ref>. Das führt in der Regel zu einer fallbezogenen Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem vom grundrechtsbeschränkenden Gesetz geschützten Rechtsgut.
So verhält es sich auch bei Fragen. Insbesondere besteht die Möglichkeit, daß Fragen Dritte in ihrer persönlichen Ehre verletzen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn die in einer Frage vorausgesetzten oder ausgesprochenen tatsächlichen Annahmen ehrenrührig sind. Insoweit kann es wie bei Meinungsäußerungen, in denen sich Werturteile und Tatsachenbehauptungen unauflösbar vermengen, darauf ankommen, ob der Fragende für den tatsächlichen und ehrenrührigen Gehalt seiner Frage Anhaltspunkte besaß oder ob dieser aus der Luft gegriffen war (vgl. den Beschluß vom heutigen Tag - 1 BvR 1555/88 -). Dabei dürfen jedoch keine Anforderungen gestellt werden, die sich abschreckend auf den Gebrauch des Grundrechts auswirken können. Es wäre mit dem Schutzzweck von Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage ein Bürger, der die Klärung und Überprüfung möglicher Mißstände erstrebt, vor die Alternative gestellt würde, entweder die Untersuchung selbst vorzunehmen oder die Nachfrage ganz zu unterlassen. Die Vermutung zugunsten der freien Rede<ref>vgl. BVerfGE 7, 198 (212)</ref> gilt deswegen auch für Fragen."<ref>BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 - 1 BvR 221/90 - Rhetorische Fragen</ref>"