Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit

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"Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit."

GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1

"Die ausdrückliche Aufnahme des an sich selbstverständlichen Rechts auf Leben in das Grundgesetz - anders als etwa in der Weimarer Verfassung - erklärt sich hauptsächlich als Reaktion auf die "Vernichtung lebensunwerten Lebens", auf "Endlösung" und "Liquidierung", die vom nationalsozialistischen Regime als staatliche Maßnahmen durchgeführt wurden. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält ebenso wie die Abschaffung der Todesstrafe durch Art. 102 GG "ein Bekenntnis zum grundsätzlichen Wert des Menschenlebens und zu einer Staatsauffassung, die sich in betonten Gegensatz zu den Anschauungen eines politischen Regimes stellt, dem das einzelne Leben wenig bedeutete und das deshalb mit dem angemaßten Recht über Leben und Tod des Bürgers schrankenlosen Mißbrauch trieb."<ref>siehe BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 - 1 BvF 1/74; 1 BvF 2/74; 1 BvF 3/74; 1 BvF 4/74; 1 BvF 5/74; 1 BvF 6/74 mit Verweis auf BVerfGE 18, 112 [117]</ref>

Schutzbereich

Persönlich

Jeder lebende, auch der ungeborene<ref>BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 - 1 BvF 1/74; 1 BvF 2/74; 1 BvF 3/74; 1 BvF 4/74; 1 BvF 5/74; 1 BvF 6/74 - Schwangerschaftsabbruch I</ref> Mensch.

Sachlich

Leben

"Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren<ref>BVerfGE 39, 1 [42]</ref>. An diesem Gebot haben sich alle staatlichen Organe, je nach ihren besonderen Aufgaben, auszurichten. Da das menschliche Leben einen Höchstwert darstellt, muß diese Schutzverpflichtung besonders ernst genommen werden."<ref>BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 - 1 BvQ 5/77 - Schleyer</ref>

Körperliche Unversehrtheit

"Nach anerkannter Rechtsprechung schützt dieses Grundrecht den Staatsbürger nicht nur als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Vielmehr folgt darüber hinaus aus seinem objektiv-rechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren. Diese zunächst im Urteil zur Fristenlösung<ref>BVerfGE 39, 1 [41]</ref> entwickelte und im Schleyer-Urteil<ref>BVerfGE 46, 160 [164]</ref> bestätigte Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in seinen beiden Atomrechts- Entscheidungen inzwischen auch auf den Umweltschutz angewandt<ref>BVerfGE 49, 89 [141] - Kalkar; BVerfGE 53, 30 [57] - Mülheim-Kärlich</ref>.

Nicht hinreichend geklärt ist bislang die weitere Frage, ob sich die aus Art. 2 Abs. 2 GG folgende Schutzpflicht ausschließlich auf einen Schutz der körperlichen Unversehrtheit in biologisch-physiologischer Hinsicht beschränkt oder ob sie sich auch auf den geistig-seelischen Bereich, also das psychische Wohlbefinden erstreckt<ref>so etwa Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 28</ref> oder sogar das soziale Wohlbefinden umfaßt.

... Wird der Begriff der körperlichen Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG mit dem der Gesundheit gleichgesetzt, wie ihn die Weltgesundheitsorganisation in ihrer Satzung vom 22. Juli 1946 definiert hat, dann wären Fluglärmfolgen nicht nur wegen somatischer, sondern bereits wegen solcher psychischer und das soziale Wohlbefinden beeinträchtigender Auswirkungen zu bekämpfen, die über die Grenzen des sozial Adäquaten hinausgehen. Denn in der genannten Satzung wird als Gesundheit "der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen" bezeichnet. Als gesundheitliche Beeinträchtigung in diesem Sinne wäre Fluglärm schon deswegen geeignet, weil er die Kommunikation im weitesten Sinne stört, den Erholungswert des Zuhause herabsetzt, Konzentration und Aufmerksamkeit mindert, Nervosität und Irritiertheitsgefühle verursacht sowie Erschrecken, Verärgerung und Furchtassoziationen auslöst<ref>vgl. etwa Rohrmann und Oeser, in: Umweltrecht im Wandel, Materialdienst Nr. 18/79 der Evangelischen Akademie Bad Boll, S. 92 ff.</ref>.

Gegen die Zugrundelegung des weiten Gesundheitsbegriffs der Weltgesundheitsorganisation ließe sich allerdings einwenden, es sei - wenn das dem Willen des Verfassungsgesetzgebers entsprochen hätte - schwer erklärlich, daß der Parlamentarische Rat diesen seit 1946 bekannten Begriff nicht übernommen, sondern stattdessen nur die "körperlich Unversehrtheit" grundrechtlich geschützt hat. Andererseits dürfte eine Beschränkung des Schutzes allein auf solche Einwirkungen, die Verletzungen des Körpers darstellen, der Bedeutung dieses Grundrechts jedenfalls dann nicht gerecht werden, wenn es im Lichte des Art. 1 GG und der darin verbürgten Unantastbarkeit der Menschenwürde ausgelegt wird. Dabei kann dahinstehen, ob eine solche Beschränkung überhaupt mit dem Verständnis des Menschen als einer Einheit von Leib, Seele und Geist und mit der Wechselwirkung zwischen psychischen und physischen Gesundheitsstörungen vereinbar wäre. Verfassungsrechtlich kann nicht außer acht bleiben, daß eine enge Auslegung nicht der Funktion des Grundrechts als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe etwa durch psychische Folterungen, seelische Quälereien und entsprechende Verhörmethoden entsprechen würde. Da die Einfügung gerade dieses Grundrechts auf Erfahrungen im Dritten Reich beruhte, darf dieser Gesichtspunkt jedenfalls nicht gänzlich vernachlässigt werden. Mit Recht hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsident im vorliegenden Verfahren eingeräumt, daß zumindest solche nichtkörperliche Einwirkungen von Art. 2 Abs. 2 GG erfaßt würden, die ihrer Wirkung nach körperlichen Eingriffen gleichzusetzen seien. Das sind jedenfalls solche, die das Befinden einer Person in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerzen entspricht. Bislang ist Art. 2 Abs. 2 GG auch nicht in dem genannten engeren Sinne angewandt worden. So wurde die Frage, ob hirnelektrische Untersuchungen in die körperliche Unversehrtheit eingreifen können, nicht etwa von vornherein verneint, sondern wegen der Harmlosigkeit solcher Untersuchungen offengelassen<ref>BVerfGE 17, 108 [114 f.]</ref>. In der Entscheidung zum Räumungsschutz ist die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers und die Gefahr von Selbstmorden als relevant im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG angesehen worden<ref>BVerfGE 52, 214 [220 f.]</ref>. Im übrigen liegt den neueren Lärmschutzvorschriften durchweg ein weiteres Verständnis zugrunde. Schon die technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 16. Juli 1968 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 137 vom 26. Juli 1968) und vor allem das Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 15. März 1974 bezeichnen Geräusche, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, "Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft" herbeizuführen, als schädliche Umwelteinwirkungen. Die gleichen Kriterien verwenden die durch das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm geänderten und neu eingeführten Vorschriften der §§ 29, 29a LuftVG. Auch das geplante Verkehrslärmschutzgesetz erstrebt einen Schutz gegen "erheblich belästigende und billigerweise unzumutbare Lärmeinwirkungen"<ref>BTDrucks. 8/3730, S. 4</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 - 1 BvR 612/72 - Fluglärm</ref>

Eingriffe

Rechtfertigung

Normen

Rechtsprechung

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Publikationen

Links

Fußnoten

<references />