Akteneinsicht in die Vergabeakte

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Akteneinsicht im Oberschwellenbereich

Die Frage, ob Akteneinsicht zu gewähren bzw. zu versagen ist, richtet sich im Anwendungsbereich des GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)) nach GWB § 165 Abs.1, Abs.2. Nach § 165 Abs. 2 GWB ist die Einsicht in Unterlagen dann zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere

geboten ist.

"In Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Düsseldorf hält [das OLG München] eine Abwägung zwischen den Belangen des Akteneinsicht begehrenden Bieters und des Konkurrenten, der seine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gewahrt wissen will, für erforderlich. Kriterien für die gebotene Abwägung enthält § 111 GWB (a.F., jetzt GWB § 165) indes nicht. Der vom Oberlandesgericht Düsseldorf entwickelte Lösungsweg, bei dem Abwägungsvorgang und den Prüfungsmaßstäben auf die unmittelbar nur für das kartellverwaltungsrechtliche Beschwerdeverfahren anwendbare Regelung des § 72 GWB unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zielrichtungen und Zwecke des Kartell- und des Vergaberechts zurückzugreifen, ist überzeugend. Er ermöglicht eine Strukturierung und Objektivierung des Abwägungsvorgangs und verhindert, dass die Akteneinsicht von der Vergabekammer aufgrund anderer Vorschriften erteilt wird als vom Beschwerdegericht<ref>(OLG Düsseldorf Beschl. v. 5.3.2008 - VII Verg 12/08 VergabeR 2008, 281)</ref>. Dabei kommt ... bei der Abwägung keiner der widerstreitenden Interessen generell der Vorrang zu, sondern es ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Angesichts der Wertigkeit der widerstreitenden Interessen - einerseits das Recht auf effektiven Rechtsschutz und anderseits das Recht auf Schutz und Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen - kann alleine aus der systematischen Stellung des Versagungsgrundes in § 111 Abs. 2 GWB nicht der Schluss gezogen werden, dass das Recht auf Akteneinsicht in Zweifelsfragen vorrangig ist<ref>(OLG Düsseldorf Beschl. v. 5.3.2008 - VII Verg 12/08 VergabeR 2008, 281; a.A. OLG Jena Beschl. v. 8.10.2015 2 Verg 4/15)</ref>.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass derjenige, der an einen Aktenbestandteil ein Geheimhaltungsinteresse in Anspruch nimmt oder nehmen kann, dies nachvollziehbar zu begründen hat, und dass dann unter Berücksichtigung dieser Begründung die widerstreitenden Belange, unter Berücksichtigung des Zwecks der Akteneinsicht gegeneinander abzuwägen sind, mit der Folge, dass je nach Sachlage ein Fall gegeben sein kann, in denen ein Geheimnisschutz zurückzutreten hat und eine Offenlegung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen anzuordnen ist, weil es darauf für die Entscheidung ankommt und anderen Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen<ref>(Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 111 GWB Rn. 13)</ref>.

...

Eine vollständige Untersagung der Akteneinsicht in den Vergabevermerk und in die beiden Gutachten ist nicht gerechtfertigt, da sowohl dem Vergabevermerk als auch den beiden Gutachten zentrale Bedeutung für die Entscheidung der Vergabestelle, die finanzielle Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu bejahen, zukommt. Zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes sind für die Antragstellerin die Kenntnis der tragenden Gründe und der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen der Vergabestelle erforderlich. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Vergabestelle ihre Entscheidung nachvollziehbar begründen muss. Nur so ist die Entscheidung hinreichend transparent.

Entgegen dem Vorwurf der Beigeladenen und der Antragsgegnerin erfolgt das Akteneinsichtsgesuch auch nicht ins Blaue hinein, um ggf. weitere Rechtsfehler des Vergabeverfahrens feststellen zu können, sondern die Akteneinsicht wird begehrt, um den Vorwurf, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit beurteilungsfehlerhaft festgestellt wurde, zu vertiefen. Die Antragstellerin kann sich die notwendigen Informationen, um ihre Bedenken und Gründe zu vertiefen und zu belegen, nicht anderweitig beschaffen und ist daher grundsätzlich auf die Einsicht in die begehrten Unterlagen angewiesen. Seitens der Beigeladenen und der Antragsgegnerin ist auch nicht dargetan, dass der Vergabevermerk und die beiden Gutachten ausschließlich Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalten.

...

Der Senat hat bei der Prüfung, ob weitere Schwärzungen vorzunehmen sind, sich von den oben dargestellten Abwägungsgrundsätzen leiten lassen. Es wurde geprüft, ob und wie weitgehend Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse betroffen sind, inwieweit die Offenlegung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist und schließlich wurde abgewogen, welchen Interessen der Vorrang einzuräumen ist. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass zwischen der Beigeladenen und der Antragstellerin ein intensives Wettbewerbsverhältnis besteht und dass kein berechtigtes Interesse an einer Offenbarung etwaiger Vertragspartner der Beigeladenen anzuerkennen ist. Als besonders sensibel erachtet der Senat auch Kalkulationen, Details der finanziellen Ausstattung der Beigeladenen, ihre Kostenstrukturen sowie Informationen über deren marktstrategische Vorgehensweise.

Die Vergabestelle hat diese Gesichtspunkte insoweit beachtet, als dass sie im großen Umfang sämtliche Zahlenangaben der zu erwartenden Umsätzen und einzelner Kalkulationsposten geschwärzt hat. Da aber auch verbale Umschreibungen und Wertungen der Kalkulationsposten durch die beiden Gutachter Dritten bzw. der Antragstellerin bedenkliche Einblicke in die Kalkulationsgrundlagen ermöglichen, waren weitere Schwärzungen vorzunehmen. Umgekehrt war zu Gunsten der Antragstellerin zu erwägen, inwieweit sie hinreichende Informationen zur Methodik und den wesentlichen Aspekten der Gutachten erlangt, um ihre Rechte im Verfahren gelten machen zu können. Der Senat hat daher nicht sämtliche von der Beigeladenen beantragten Schwärzungen vorgenommen, sondern diejenigen Passagen, die für das Verständnis der Methodik oder Vorgehensweise der beiden Gutachter erforderlich sind und die keine oder nur unerhebliche Hinweise auf das kalkulatorische Vorgehen der Beigeladenen bieten, nicht unkenntlich gemacht.

Dementsprechend war der Vergabevermerk bis auf eine Passage auf Seite 54 vollständig zugänglich zu machen. Bei den beiden Gutachten war den Interessen der Beigeladenen der Vorrang zu gewähren, soweit Schwärzungen bzw. Unkenntlichmachungen erfolgt sind.

...

Die Antragsgegnerin macht geltend, dass durch die Akteneinsicht Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beigeladenen offenbart werden müssten und dadurch das Interesse der Antragstellerin an einem durch Geheimnisschutz gewährleistenden lauteren Wettbewerb in den von ihr künftig durchzuführenden Vergabeverfahren beeinträchtigt wird.

Es ist nicht ersichtlich, dass die begehrte Akteneinsicht Unterlagen, Informationen und Sachdarstellungen betreffen, an denen ein eigenes Geheimhaltungsinteresse der Antragsgegnerin besteht. Es obliegt der Beigeladenen, über ihre Rechte und ggf. über die sie selbst betreffenden Geheimnisse zu disponieren. Der vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedene Fall<ref>(Beschluss vom 28.07.2007, VII Verg 40/07)</ref> betraf die Akteneinsicht in die Kostenkalkulation des Auftraggebers und somit eigene Geschäftsgeheimnisse des Auftraggebers, so dass die Wertung, dass in diesem Fall die Bekanntgabe dieser Informationen künftige Vergabeverfahren möglicherweise beeinträchtigen kann, gerechtfertigt war. Vorliegend sind jedoch ausschließlich auftragsbezogene Wertungen betroffen, die Einblicke in Betriebsgeheimnisse und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen ermöglichen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwieweit durch die Offenbarung dieser Informationen künftige Vergabeverfahren der Antragsgegnerin als Auftraggeberin beeinträchtigt werden können."<ref>OLG München, Beschluss vom 28.04.2016 - Verg 3/16</ref>

Akteneinsicht im Unterschwellenbereich

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu BGB § 242 "gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn er in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen<ref>(vgl. BGH, Urteil vom 6.2.2007 - X ZR 117/04)</ref>. "Unschwer" kann die Auskunft immer dann erteilt werden, wenn die mit der Vorbereitung und Erteilung der Auskunft verbundenen Belastungen entweder nicht ins Gewicht fallen oder aber, obwohl sie beträchtlich sind, dem Schuldner in Anbetracht der Darlegungs-und Beweisnot des Gläubigers und der Bedeutung zumutbar sind, die die verlangte Auskunft für die Beurteilung des Grundes oder der Höhe des infrage stehenden Hauptanspruchs hat<ref>(vgl. BGH, a.a.O.)</ref>. Ob der Schuldner in diesem Sinne unbillig belastet wird, ist jeweils aufgrund einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen<ref>(vgl. BGH, a.a.O.)</ref>."<ref>LG Oldenburg, Urteil vom 18.06.2014 – 5 S 610/13</ref>

Siehe auch

Fußnoten

<references/>