Briefgeheimnis: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 13. Februar 2016, 14:45 Uhr
Schutzbereich
Persönlicher Schutzbereich
- Jedermann
Sachlicher Schutzbereich
"Art. 10 Abs. 1 GG gehört zu den Grundrechten, die die Privatsphäre schützen<ref>(vgl. BVerfGE 67, 157 [171])</ref>. Gegenstand des Schutzes sind Kommunikationen, die wegen der räumlichen Distanz zwischen den Beteiligten auf Übermittlung durch Dritte, typischerweise die Post, angewiesen sind. Das Grundrecht soll jener Gefahr für die Vertraulichkeit der Mitteilung begegnen, die sich gerade aus der Einschaltung eines Übermittlers ergibt. Seine besondere Bedeutung gewinnt es aus der Erfahrung, daß der Staat unter Berufung auf seine eigene Sicherheit sowie die Sicherheit seiner Bürger häufig zum Mittel der Überwachung privater Kommunikation gegriffen hat. Dabei kommt es ihm zustatten, daß als Vermittler überwiegend die staatlich betriebene Post auftritt. Der Zugriff wird dadurch sowohl leichter als auch unauffälliger. Die Tragweite des Postgeheimnisses ist daher verkürzt, wenn man es primär als Schutz vor den Bediensteten der Post ansieht. Der Grundrechtsschutz bezieht sich historisch und aktuell vor allem auf die staatlichen Sicherheitsbehörden. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht herausgestellt, daß Art. 10 GG nicht nur den Einzelnen gegenüber der Post, sondern auch Bürger und Post gegenüber anderen staatlichen Stellen schützt<ref>(vgl. BVerfGE 67, 157 [172])</ref>.
Den grundrechtlichen Schutz genießt in erster Linie der Kommunikationsinhalt. Es ist Sache der am Kommunikationsvorgang Beteiligten, darüber zu bestimmen, wer von dem Inhalt Kenntnis erlangen soll. Der Schutz erstreckt sich aber auch auf den Kommunikationsvorgang. Geschützt sind hier die näheren Umstände des Fernmeldeverhältnisses. Dazu zählt insbesondere die Tatsache, ob und wann zwischen welchen Personen und Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist<ref>(vgl. BVerfG, a.a.O.)</ref>.
Auf die Erfassung kommunikationsrelevanter Daten kann freilich nicht gänzlich verzichtet werden, wenn nicht die Übermittlung selber unmöglich werden soll. Für die Postbeförderung sieht § 5 Abs. 2 PostG daher Ausnahmen vom Postgeheimnis vor, wenn sie zur betriebsbedingten Abwicklung des Postdienstes erforderlich sind. Bezüglich des Fernmeldegeheimnisses fehlt jedoch eine dem § 5 Abs. 2 PostG entsprechende gesetzliche Regelung. In Rechtsprechung und Lehre wird deswegen vielfach auf "betriebsbedingte Schranken"<ref>(so Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 10 Rdnr. 66)</ref>, "immanente Schranken"<ref>(so OLG Köln, NJW 1970, S. 1857)</ref> oder in postbetrieblichen Erfordernissen begründete "innere Begrenzungen"<ref>(so BVerwG, NJW 1984, S. 2112)</ref> des Schutzes von Art. 10 Abs. 1 GG verwiesen. Auch der Bundespostminister beruft sich in seiner Stellungnahme auf solche immanenten Schranken des Grundrechts, die sich aus betrieblichen Erfordernissen, insbesondere aus der Sicherung des ordnungsgemäßen Gebrauchs der Fernmeldeeinrichtungen, ergäben.
Diese Sicht wird dem Sinn der Grundrechte nicht gerecht. Der Grundrechtsschutz bezieht sich auf Bürgerverhalten. Dieses soll frei sein. Staatliche Maßnahmen gegenüber grundrechtsgeschütztem Bürgerverhalten sind Eingriffe. Im Interesse der Individualfreiheit werden sie besonderen Anforderungen unterworfen, die sich vor allem aus der Schrankenregelung des betroffenen Grundrechts und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Die Lehre von den immanenten Grenzen des Fernmeldegeheimnisses geht dagegen von den Bedürfnissen der Post und also von der - ihrer Auffassung nach nötigen und berechtigten - staatlichen Maßnahme zur Mißbrauchsbekämpfung, nicht vom Schutzbedürfnis des Bürgers aus. Sie ist folglich eingriffsorientiert. Eingriffsorientierte Gesichtspunkte haben aber bei der Definition des Schutzbereichs keinen Platz. Grundrechtliche Schutzbereiche lassen sich nicht nach Eingriffsnotwendigkeiten zuschneiden. Die Möglichkeit von Grundrechtsmißbräuchen kann ein rechtfertigender Grund für Grundrechtsbeschränkungen, nicht aber für Schutzbereichsbegrenzungen sein. Würde der Schutzbereich von Eingriffsbedürfnissen her bestimmt, so könnte das Grundrecht den Einzelnen auch nicht mehr vor fehlerhafter, mißbräuchlicher oder exzessiver Verwertung von Kommunikationsdaten durch die Post oder andere staatliche Stellen schützen. Denn ein Kommunikationsdatum, das aus dem Schutzbereich des Grundrechts herausfällt, kann auch nicht Gegenstand eines Grundrechtseingriffs und einer Grundrechtsverletzung sein. Deswegen ist davon auszugehen, daß alle der Post zur Beförderung oder Übermittlung anvertrauten Kommunikationsvorgänge, -träger und -inhalte den Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG genießen. Die Bedürfnisse des Postbetriebes und der Schutz anderer Fernsprechteilnehmer werden dadurch nicht außer acht gelassen, aber in den Bereich des Eingriffs und der Schrankenregelung verwiesen."<ref>BVerfG, Beschluss vom 25.03.1992 - 1 BvR 1430/88 Abs. 46 ff.</ref>
Normen
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Grundgesetz (GG)
- GG Art. 10 Abs. 1
Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten)
- EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Rechtsprechung
Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
- BVerfG, Beschluss vom 25.03.1992 - 1 BvR 1430/88 - Fangschaltungen
- BVerfG, Beschluss vom 05.02.1981 - 2 BvR 646/80 = BVerfGE 57, 170 - Briefkontrolle in der Untersuchungshaft
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)
Publikationen
- Christoph Gusy, Das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses, JuS 1986, 89
Siehe auch
Fußnoten
<references/>