Verstoß gegen Datenschutz durch Verlesen der Unterschriftenlisten eines Bürgerbegehrens in öffentlicher Gemeinderatssitzung

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Das Verlesen der Unterschriftenlisten eines Bürgerbegehrens in öffentlicher Gemeinderatssitzung ist eine unzulässige Datenübermittlung an die Öffentlichkeit.

BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146

Bürger hatten sich bei dem Bayerischen Landesbeauftragten für Datenschutz darüber beschwert,

"dass der erste Bürgermeister ihrer Gemeinde im Rahmen einer öffentlichen Gemeinderatssitzung die Vornamen, Familiennamen und Straßenangaben der Personen, die ein Bürgerbegehren gegen die Errichtung einer Anlage in der Gemeinde unterstützt hatten, verlesen hatte. Der erste Bürgermeister hatte auf diese Weise dem Gemeinderat demonstrieren wollen, dass das Bürgerbegehren nicht ausschließlich von Personen unterstützt wurde, die in der Nähe der geplanten Anlage wohnen, sondern dass Bürger aus dem gesamten Gemeindegebiet unterschrieben hatten.

Er war der Meinung, das Verlesen der Namen unterliege nicht der Geheimhaltung, da der sich jeweils als letzter eintragende Unterstützer Einsicht in die gesamte Namensliste nehmen könne. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass nach Art. 18 a der Gemeindeordnung (GO) das Bürgerbegehren zwingend in öffentlicher Sitzung zu behandeln sei, weshalb es in seiner Gesamtheit als öffentlich anzusehen sei. Aus diesem Grund seien auch die unterstützenden Unterschriften öffentlich."<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

Der Bayerischer Landesbeauftragter für Datenschutz bewertete den Vorgang datenschutzrechtlich wie folgt:

Sobald die Unterschriftslisten bei der Gemeinde abgegeben worden sind, unterliegen sie den datenschutzrechtlichen Bestimmungen<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

"GO Art. 18a enthält keine Regelung über das Sammeln der Unterschriften. Dieses erfolgt nach der gängigen Praxis im Privatbereich. Die dabei erhobenen Daten unterliegen bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Listen der Gemeinde übergeben werden, nicht den Bestimmungen des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG) und nur unter eingeschränkten Voraussetzungen den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes. Nach geltendem Recht kann es daher nicht verhindert werden, dass Unterzeichner und Dritte bis zur Übergabe der Listen an die Gemeinde Einsicht in diese nehmen.

Sobald die Unterschriftenlisten allerdings bei der Gemeinde abgegeben worden sind, unterliegen sie den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Sie dürfen daher nur unter den Voraussetzungen der Art. 15 ff BayDSG verarbeitet oder genutzt werden. Die Bekanntgabe und Auswertung von Daten in Unterschriftenlisten (auch auszugsweise) ist danach nur zulässig, wenn die Betroffenen darin eingewilligt haben oder eine Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet (Art. 15 Abs. 1 BayDSG)."<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

===Der Gemeinderat kann im Rahmen seiner Überwachungsbefugnis nach Art. 30 Abs. 3 GO die Einsichtnahme in die ausgewerteten Unterschriftslisten verlangen. Die Einsichtnahme hat unter Beachtung des Grundsatzes der Zweckbindung entweder in nichtöffentlicher Sitzung oder durch ein vom Gemeinderat durch Beschluss mit dieser Aufgabe beauftragtes Gemeinderatsmitglied in den Amtsräumen der Verwaltung zu erfolgen<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>===

"Da eine Einwilligung der Unterstützer des Bürgerbegehrens nicht vorlag, war für das Verlesen der Eintragungen in den Unterschriftenlisten eine Rechtsgrundlage erforderlich. Die Bekanntgabe der Namen und Anschriften gegenüber den Gemeinderatsmitgliedern stellt eine Nutzung personenbezogener Daten dar. Ihre Zulässigkeit richtet sich mangels einer spezialgesetzlichen Regelung nach Art. 17 Abs. 1 BayDSG. Danach durften die Daten an den Gemeinderat weitergegeben werden, soweit dies u.a. zur Aufgabenerfüllung dieses Gremiums erforderlich war.

Nach Art. 18 a Abs. 8 Satz 1 GO entscheidet der Gemeinderat über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens. Er hat in diesem Zusammenhang u.a. zu prüfen, ob das Bürgerbegehren von einer ausreichenden Zahl stimmberechtigter Gemeindebürger unterstützt wird (Art. 18 a Abs. 5 bis 7 GO). Die Entscheidung des Gemeinderats beruht dabei auf entsprechenden Informationen des ersten Bürgermeisters. Dieser bzw. die Gemeindeverwaltung wertet die Unterschriftenlisten da- hingehend aus, wieviel antragsberechtigte Gemeindebürger unterschrieben haben sowie ob die Eintragungen gültig oder ungültig sind und trägt dem Gemeinderat das Ergebnis vor.

Dem Gemeinderat bleibt es dabei unbenommen, im Rahmen seiner Überwachungsbefugnis nach Art. 30 Abs. 3 GO die Einsichtnahme in die ausgewerteten Unterschriftenlisten zu verlangen. Wegen des Grundsatzes der Zweckbindung (Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayDSG) darf aber auch der Gemeinderat die Unterschriftenlisten nur hinsichtlich der Frage einsehen, ob das Bürgerbegehren von einer ausreichenden Zahl antragsberechtigter Gemeindebürger unterschrieben worden ist und ob die Gemeindeverwaltung die Eintragungen in zutreffender Weise als gültig oder ungültig eingestuft hat (vgl. auch Thum, Kommunalpraxis 1997, S. 379, 381, 382).

Im vorliegenden Fall hat der erste Bürgermeister die Vornamen, Familiennamen und die Anschriften der Personen, die sich in die Unterschriftenlisten für das Bürgerbegehren eingetragen haben, in öffentlicher Gemeinderatssitzung verlesen, um dem Gemeinderat zu demonstrieren, dass das Bürgerbegehren nicht ausschließlich von Personen unterstützt wird, die in der Nähe der geplanten Anlage wohnen, sondern dass Bürger aus dem gesamten Gemeindegebiet unterschrieben haben. Die Datenweitergabe an den Gemeinderat erfolgte somit nicht auf dessen Verlangen hin zum Zwecke der Ausübung der Überwachungsbefugnis nach Art. 30 Abs. 3 GO. Sie war also zur Aufgabenerfüllung des Gemeinderats nicht erforderlich und damit bereits aus diesem Grunde unzulässig. Hinzu kommt, dass eine Einsichtnahme in die Unterschriftenlisten durch den Gemeinderat im Vollzug des Art. 30 Abs. 3 GO mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Belange der betroffenen Bürger nicht in der Öffentlichkeit erfolgen darf, sondern in nichtöffentlicher Sitzung bzw. durch ein vom Gemeinderat durch Beschluss mit dieser Aufgabe beauftragtes Gemeinderatsmitglied in den Amtsräumen der Verwaltung zu erfolgen hat (siehe dazu auch weiter unten)."<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

Das Verlesen der Unterschriftenlisten in öffentlicher Gemeinderatssitzung ist eine unzulässige Datenübermittlung an die Öffentlichkeit<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

"Das Verlesen der Unterschriftenlisten in öffentlicher Gemeinderatssitzung war nicht nur eine Datenweitergabe an die Gemeinderatsmitglieder, sondern gleichzeitig auch eine Datenübermittlung an die anwesenden Zuhörer und Pressevertreter. Diese war nicht nach Art. 18 a GO zulässig. Diese Vorschrift regelt nicht, ob die Behandlung des Bürgerbegehrens bzw. die Entscheidung über dessen Zulässigkeit in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung zu erfolgen hat. Dies ergibt sich vielmehr aus Art. 52 Abs. 2 GO. Danach sind die Sitzungen des Gemeinderats öffentlich, soweit nicht Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche Einzelner entgegenstehen.

Die Beratung und Abstimmung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens in öffentlicher Gemeinderatssitzung ist regelmäßig dann unproblematisch, wenn zur Frage, ob das Bürgerbegehren von einer ausreichenden Zahl stimmberechtigter Gemeindebürger unterstützt wird, lediglich das Ergebnis der Überprüfung der Unterschriftenlisten bekanntgegeben wird. Der namentlichen Erwähnung der Unterstützer des Bürgerbegehrens in öffentlicher Gemeinderatssitzung stehen dagegen berechtigte Ansprüche der Betroffenen entgegen. Diese müssen darauf vertrauen können, dass ihre Daten entsprechend den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen behandelt werden und im Bereich der Verwaltung und des zuständigen Entscheidungsgremiums verbleiben.

Wie bereits ausgeführt, unterliegen auch die im Privatbereich gesammelten Unterschriften den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, sobald sie bei der Gemeinde abgegeben worden sind.

Abgesehen davon habe ich zu dem Vorhalt, die Daten seien nicht schutzwürdig, weil der sich als zuletzt eintragende Unterstützer die ganze Namensliste zur Kenntnis nehmen könne, auf Folgendes hingewiesen:

Nach dem allgemein praktizierten Verfahren der Unterschriftsleistung kann zwar angenommen werden, dass Unterschriftsleistende die Kenntnis ihrer Eintragung durch Nacheintragende auf der laufenden Unterschriftenliste zwangsläufig akzeptieren. Es kann jedoch nicht angenommen werden, dass sie auch davon ausgehen, geschweige damit einverstanden sind, dass die Gemeinde, an die sich das mit der Unterschriftenaktion verfolgte Begehren richtet, die Unterschriftenliste ein- zelnen Dritten oder gar der Öffentlichkeit bekannt gibt. Es ist auch ein erheblicher Unterschied, ob Personen bei der Eintragung von Voreintragungen Gleichgesinnter Kenntnis nehmen können oder ob die Unterschriftenliste Dritten oder gar der Allgemeinheit mitgeteilt wird.

Die Bekanntgabe der Familiennamen, Vornamen und Anschriften der Unterstützer des Bürgerbegehrens in öffentlicher Gemeinderatssitzung gegenüber der Öffentlichkeit war somit ebenfalls unzulässig. Wie bereits ausgeführt, kommt neben der Auswertung der Unterschriftenlisten durch den ersten Bürgermeister bzw. die Gemeindeverwaltung zur Feststellung, ob die Voraussetzungen des Art. 18 a Abs. 5 bis 7 GO vorliegen, nur eine Einsichtnahme in die Listen durch den Gemeinderat bzw. ein von diesem beauftragtes Gemeinderatsmitglied im Vollzug des Art. 30 Abs. 3 GO in nicht-öffentlicher Sitzung oder in den Amtsräumen in Betracht."<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

Die Unterschriftenlisten dürfen nur hinsichtlich der Frage ausgewertet werden, ob das Bürgerbegehren von einer ausreichenden Zahl stimmberechtigter Gemeindebürger unterschrieben worden ist<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

"Ein weiterer datenschutzrechtlicher Verstoß liegt in der Auswertung der Unterschriftenlisten nach der Nähe der Unterzeichner zum Gegenstand des Bürgerbegehrens. Der erste Bürgermeister teilte dazu mit, er habe die Namen und Anschriften der Unterstützer verlesen, um dem Gemeinderat zu demonstrieren, dass es sich nicht ausschließlich um in der Nähe der geplanten Anlage wohnende Bürger handelt, sondern dass das Begehren von quer im Gemeindegebiet beheimateten Personen unterstützt worden sei. Er hat damit den Grundsatz der Zweckbindung (Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayDSG) nicht beachtet. Die Unterschriften dürfen nur hinsichtlich der Frage ausgewertet werden, ob das Bürgerbegehren von einer ausreichenden Zahl stimmberechtigter Gemeindebürger unterschrieben worden ist."<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

Das Verlesen der Unterschriftenlisten in öffentlicher Gemeinderatssitzung und ihre Auswertung nach der örtlichen Nähe der Unterzeichner zum Gegenstand des Bürgerbegehrens sind erhebliche Datenschutzverstöße, da sie geeignet sind, auf Unterzeichner des Bürgerbegehrens eine abschreckende Wirkung ausüben<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

"Ich habe das Verlesen der Familiennamen, Vornamen und Straßenangaben der das Bürgerbegehren unterstützenden Personen in öffentlicher Gemeinderatssitzung und die Auswertung der Unterschriftenlisten nach der örtlichen Nähe der Unterzeichner zum Gegenstand des Bürgerbegehrens nach Art. 31 Abs. 1 BayDSG beanstandet. Von der Beanstandung konnte ich nicht absehen, weil es sich nicht um unerhebliche Datenschutzverstöße gehandelt hat. Das öffentliche Verlesen der Namen und Anschriften der Unterstützer und die Auswertung der Unterschriftenlisten nach der Nähe der Unterzeichner zum Gegenstand des Bürgerbegehrens sind geeignet, auf Unterzeichner des Bürgerbegehrens eine abschreckende Wirkung auszuüben und sie davon abzuhalten, sich künftig nochmals an dem gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Rechtsinstitut des Bürgerbegehrens zu beteiligen.

In diesem Zusammenhang weise ich außerdem darauf hin, dass sowohl das Innenministerium als auch ich selbst in der Vergangenheit immer wieder darüber aufgeklärt haben, dass die Unterschriftenlisten von Bürgerbegehren nur zu dem Zweck ausgewertet werden dürfen, ob eine ausreichende Zahl stimmberechtigter Gemeindebürger unterschrieben hat (Rundschreiben des Innenministeriums vom 06.03.1996, 17. Tätigkeitsbericht 1995/1996 Nr. 8.4.2 und 18. Tätigkeitsbericht 1997/1998 Nr. 8.4.2). In meinem 18. Tätigkeitsbericht habe ich mich außerdem zur unzulässigen Einsichtnahme von Dritten in Unterschriftenlisten für Bürgerbegehren geäußert. Die Unzulässigkeit der öffentlichen Bekanntgabe der Namen und Adressen in den Unterstützerlisten und die Auswertung der Listen nach der örtlichen Nähe der Unterzeichner zu dem Gegenstand des Bürgerbegehrens hätte daher bekannt sein müssen."<ref>BayLfD, 19. Tätigkeitsbericht (2000), KommP BY 2001, 146, Ziffer 8.6.1., Seite 244 ff.</ref>

Fußnoten

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