Organisationshoheit

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"Die Gewährleistung des GG Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich<ref>BVerfGE 26, 228 [237 f.]; 56, 298 [312]; 59, 216 [226]; 79, 127 [143]</ref>. Zu der Befugnis eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte gehört auch die Organisationshoheit<ref>vgl. BVerfGE 38, 258 [278 ff.]; 52, 95 [117]; 78, 331 [341]; 83, 363 [382]</ref>. Durch sie legen die Gemeinden für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im einzelnen fest und bestimmen damit auch über Gewichtung, Qualität und Inhalt ihrer Entscheidungen."<ref>BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 - 2 BvR 445/91 Abs. 25</ref>

Historie

"Allerdings ist die Organisationshoheit historisch als eigenes Element der Selbstverwaltungsgarantie nur eingeschränkt belegt. Dass jedenfalls die Regelung der äußeren Kommunalverfassung ohne weitere Maßgaben Sache des Gesetzgebers sei, war insbesondere in der Weimarer Republik unbestritten. Insoweit zu berücksichtigende Eigenrechte der Gemeinden, welche dadurch präformiert oder sonst berührt sein könnten, standen nicht in Diskussion<ref>vgl. H. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, 1926, S. 111 ff.; F. Stier-Somlo, Handbuch des kommunalen Verfassungsrechts in Preußen, 2. Aufl. 1928, S. 48 ff., 54 ff.</ref>. Die Entscheidung über die Gestaltung der Kommunalverfassung wurde weniger als Teil der kommunalen Selbstverwaltung, sondern mehr als deren Vorgabe aufgefaßt. Auch unterlagen die Ortsstatuten, zu deren Erlaß die Gemeinden durch die verschiedenen Städteordnungen ermächtigt waren, in der Regel der vorherigen Genehmigung durch die Behörden; zum Teil - so in Preußen - konnte deren Erteilung auch nach freiem Ermessen versagt werden<ref>vgl. H. Peters, a. a. O., S. 115</ref>. Die Literatur nahm dementsprechend die Regelung der gemeindlichen Organisation weitgehend vom kommunalen Selbstverwaltungsrecht aus <ref>H. Peters a. a. O.; vgl. auch G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933, Anm. 1 zu Art. 127 WRV, und E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 530</ref>.

Zu dem tatsächlichen Erscheinungsbild der kommunalen Selbstverwaltung gehörten hingegen gewisse Organisationsbefugnisse seit jeher. Diese gründeten zum einen in der erwähnten Befugnis, Ortsstatute zu erlassen. Anders als in Preußen konnte deren Genehmigung in anderen Ländern nur aus Rechtmäßigkeits-, nicht aber auch aus Zweckmäßigkeitserwägungen versagt werden<ref>vgl. Art. 210 Abs. 4 Württembergische Gemeindeordnung vom 19. März 1930; § 6 Abs. 2 und 3 Badische Gemeindeordnung vom 5. Oktober 1921, dazu E. Gündert, Badische Gemeindeordnung, 4. Aufl. 1927, Anm. II, 8 zu § 6</ref>; jedenfalls hatten die Gemeinden insoweit den ersten Zugriff. Darüber hinaus bestand allgemein die Möglichkeit, die innere Verwaltungsorganisation durch Verwaltungsverfügungen zu regeln, die nicht als Rechtsvorschriften angesehen wurden und deshalb auch keiner Genehmigung unterlagen. Damit war ein weiterer organisatorischer Gestaltungsfreiraum eröffnet<ref>vgl. F. Stier- Somlo, a. a. O., S. 62</ref>. In einem gewissen Rahmen haben die Gemeinden ihre eigene Organisation letztlich immer auch selbst mitbestimmt und gehören Organisationsbefugnisse zum historisch gewachsenen tatsächlichen Erscheinungsbild der Gemeinden."<ref>BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 - 2 BvR 445/91 Abs. 26 ff.</ref>

Umfang des Selbstverwaltungsrechts

"Hieran anknüpfend umfaßt die Garantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch kommunale Organisationsbefugnisse. Dies entspricht ihrer Zielrichtung, die Gemeinden als eigene Selbstverwaltungsträger anzuerkennen und ihnen eine eigenverantwortliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu garantieren. Damit ist die Gewährleistung eines gewissen organisatorischen Freiraums unmittelbar verbunden: Eine Regelung der gemeindlichen Angelegenheiten "in eigener Verantwortung", wie es Art. 28 Abs. 2 GG vorsieht, ist ohne eine gewisse Selbständigkeit auch bei der Organisation der Aufgabenwahrnehmung kaum vorstellbar. Es ist nicht anzunehmen, daß die Verfassung den Kommunen einerseits eigene Aufgabenbereiche zur selbständigen Erledigung vorbehält, andererseits aber deren Organisation bis in interne Verfahrensabläufe hinein der umfassenden Steuerung durch den Gesetzgeber oder die staatliche Verwaltung überließe<ref>vgl. aus der Literatur nur K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 414; H. Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 1975, S. 68 ff.; E. Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 33 ff., 123 ff.</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 - 2 BvR 445/91 Abs. 28</ref>

"im Rahmen der Gesetze"

"Die Gewährleistung eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung besteht indes gemäß Art. 28 Abs. 2 GG "im Rahmen der Gesetze". Dementsprechend sind auch die den Gemeinden zur Hand stehenden Organisationsbefugnisse durch die Vorgaben des Gesetzgebers gebunden<ref>vgl. BVerfGE 83, 363 [382]</ref>. Der Gesetzgeber muß dabei der verfassungsrechtlichen Verbürgung einer mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestatteten Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird<ref>BVerfGE 79, 127 [150]; vgl. auch BVerfGE 82, 310 [314]</ref>, Rechnung tragen und die Gemeinden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben befähigen. Von daher sind dem Gesetzgeber in doppelter Hinsicht Grenzen gesetzt.

a) Zunächst setzt der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie dem Gesetzgeber eine Grenze. Hiernach darf der Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht ausgehöhlt werden<ref>BVerfGE 1, 167 (174 f.); 79, 127 (146); st. Rspr.</ref>. Bei der Bestimmung dieses Kernbereichs ist in besonderer Weise der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen<ref>vgl. BVerfGE 59, 216 (226); 76, 107 (118); 79, 127 (146); st. Rspr.</ref>.

Hiernach gehört zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung zunächst allerdings nicht die grundsätzlich freie Bestimmung über die Organisation der Gemeinde überhaupt. Insbesondere die Entscheidung über die äußeren Grundstrukturen der Gemeinde wurde in allen Ländern stets als Sache des Gesetzgebers angesehen. Die Festlegung und Konturierung der Gemeindeverfassungstypen, wie etwa der Magistrats-, Bürgermeister-, süddeutschen oder norddeutschen Ratsverfassung<ref>vgl. hierzu etwa E. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, S. 56 ff.</ref>, sind ebenso wie die Entscheidung über plebiszitäre Beteiligungsmöglichkeiten der Gemeindebürger vom Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nicht erfaßt.

Andererseits widerspräche eine umfassende Steuerung der kommunalen Organisation durch staatliche Instanzen dem vom Verfassungsgeber vorgefundenen und dem Art. 28 Abs. 2 GG zugrundeliegenden Begriff der kommunalen Selbstverwaltung, die eine dezentrale und eigenverantwortliche Wahrnehmung der kommunalen Aufgaben sichern will. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung verbietet Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken würden. Dies wäre der Fall, bei einer Regelungsdichte, die den Gemeinden die Möglichkeit nähme, eine Hauptsatzung zu erlassen oder ihnen hierbei keinerlei Entscheidungsspielraum mehr beließe, oder wenn die Organisation der Gemeinden durch staatliche Behörden beliebig steuerbar wäre. Ein Gesetz etwa, das Verwaltungsbehörden im Rahmen der Fachaufsicht umfassend hinsichtlich der Organisation ihr unterstehender Gemeinden ein jederzeit aktualisierbares Weisungsrecht einräumte, wäre im Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 GG Bedenken ausgesetzt. Gleiches gälte für ein Verbot, überhaupt andere als gesetzlich vorgegebene Ämter zu errichten. Ebenso könnte eine die zentralen Vertretungs- und Ausführungsorgane lähmende Zergliederung der Verwaltung auf Bedenken stoßen.

b) Auch im Vorfeld der Sicherung des Kernbereichs entfaltet die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG aus ihrer normativen Intention, den Gemeinden die Möglichkeit eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung zu garantieren, Rechtswirkungen<ref>vgl. entsprechend BVerfGE 79, 127 [147]</ref>.

aa) Allerdings gilt für die Organisationshoheit - anders als für die Bestimmung der gemeindlichen Aufgaben<ref>vgl. BVerfGE 79, 127 [146 ff.]</ref> - nicht ein Prinzip der "Allzuständigkeit", nach dem die Gemeinden grundsätzlich alle Fragen ihrer Organisationshoheit selbst zu entscheiden hätten. Die prinzipielle Allzuständigkeit, von der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG die Rede ist, bezieht sich allein auf die örtlichen Angelegenheiten und damit die sachlichen Aufgaben, nicht aber auf die Organisation der Gemeinde. Deren Maß und Bezugspunkt liegt in der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden. Für die kommunale Organisation gilt auch nicht ein Prinzip der Eigenorganisation der Gemeinde, demgegenüber jede staatliche Vorgabe einer spezifischen Rechtfertigung bedürfte. Dies ist weder, wie dargelegt, historisch begründet, noch entspricht dem die derzeitige Ausformung des Kommunalrechts. Dieses setzt mit seinen zahlreichen Regelungen zur Organisation der Gemeinden ersichtlich eine weitgehende Befugnis des staatlichen Gesetzgebers voraus, der Regelung von Organisationsstrukturen seine Vorstellungen zugrundezulegen.

Die Organisationshoheit ist mithin von vornherein nur relativ gewährleistet. Sie kann nicht nur aus Gründen, die außerhalb ihrer selbst liegen, zurückgenommen werden, sie wird auch als Prinzip selbst durch staatliche Regelungen inhaltlich ausgeformt und mit Grenzen versehen. Organisationsvorgaben können etwa auch mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung sowie der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung oder dem Wunsch nach Übersichtlichkeit begründet werden.

Organisationsrechtliche Entscheidungen sind freilich fast immer mit materiellen Auswirkungen verbunden. Durch sie wird - etwa mittels organisatorischer Verselbständigung eines bestimmten Aufgabenbereichs - über Gewichtung und Qualität der Aufgabenerledigung in nicht unerheblichem Umfang mitentschieden, und auch inhaltlich können dadurch Verwaltungsentscheidungen präformiert werden. Die Befugnis des Gesetzgebers, den Gemeinden Vorgaben zu ihrer Organisation zu machen, verschafft diesem daher mittelbar auch Einfluß auf die Aufgabenerledigung. Dies ist mit der Regelungskompetenz des Gesetzgebers zur Organisation der Gemeinden unausweichlich verbunden und auch gewollt. Durch die Möglichkeit organisatorischer Rahmensetzungen soll der Gesetzgeber auf eine effektive Aufgabenerledigung durch die Gemeinden hinwirken können.

bb) Ungeachtet dessen steht dem Staat die Entscheidung über die Organisation der Gemeinden nicht alleine zu. Indem Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden eine eigenverantwortliche Aufgabenerledigung und damit auch organisatorische Gestaltungsbefugnisse verbürgt, verpflichtet er den Gesetzgeber, bei der Ausgestaltung des Kommunalrechts den Gemeinden eine Mitverantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben einzuräumen. Seine Vorgaben dürfen die Gemeinden aus der ihnen von der Verfassung zugewiesenen Verantwortung nicht verdrängen. Die Organisation der Gemeinden regelt sich so erst aus dem Ineinandergreifen von staatlicher Vorgabe und kommunaler Ausfüllung. Daraus folgt nicht nur, wie durch den Kernbereich gesichert ist, daß den Gemeinden insgesamt nennenswerte organisatorische Befugnisse verbleiben müssen; es muß ihnen auch ein hinreichender organisatorischer Spielraum bei der Wahrnehmung der je einzelnen Aufgabenbereiche offengehalten werden. Dabei spielen allerdings Unterschiede zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis eine Rolle. Für keinen Aufgabenbereich darf jedoch ausgeschlossen werden, daß die Gemeinden zumindest im Bereich der inneren Organisation auch selbst noch auf die besonderen Anforderungen am Ort durch eigene organisatorische Maßnahmen reagieren können.

Bei solchen organisatorischen Regelungen darf der Gesetzgeber freilich typisieren; er braucht nicht jeder einzelnen Gemeinde und grundsätzlich auch nicht jeder insgesamt gesehen unbedeutenden Gruppe von Gemeinden Rechnung zu tragen. Dies folgt schon aus dem notwendig generellen Charakter seiner Regelung<ref>vgl. BVerfGE 79, 127 [154]</ref>.

cc) Beläßt der Gesetzgeber den Gemeinden bei der Ausgestaltung ihrer Organisation in dieser Weise für ihre verschiedenen Aufgabenbereiche Raum zu selbstverantwortlichen Maßnahmen, findet eine Kontrolle dahin, ob die von ihm getroffenen Organisationsentscheidungen auf hinreichend gewichtigen Zielsetzungen beruhen, nicht statt. An sonstigen verfassungsrechtlichen Anforderungen wie insbesondere dem Demokratieprinzip ist die Ausgestaltung der organisatorischen Vorgaben im Rahmen des Art. 28 Abs. 2 GG nur insoweit zu prüfen, als diese ihrem Gehalt nach das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet sind<ref>vgl. BVerfGE 1, 167 [181]; 56, 298 [310]; 71, 25 [37]</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 - 2 BvR 445/91 Abs. 29 ff.</ref>

Rechtsprechung

Publikationen

Siehe auch

Fußnoten

<references />