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Mobilfunkstrahlung - Verfassungsrechtliche Lage

"Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet die Auffassung ..., der Verordnungsgeber sei im Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht verpflichtet, die geltenden Grenzwerte zum Schutz vor Immissionen zu verschärfen, über deren gesundheitsschädliche Wirkungen keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen.

Dem Verordnungsgeber kommt bei der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum lässt, konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht gebietet nicht, alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen zu treffen. Deren Verletzung kann vielmehr nur festgestellt werden, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurückbleiben<ref>vgl. BVerfGE 56, 54 (81); 77, 381 (405); 79, 174 (202); stRspr</ref>.

Ausgehend hiervon besteht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen. Die geltenden Grenzwerte könnten nur dann verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn erkennbar ist, dass sie die menschliche Gesundheit völlig unzureichend schützen. Davon kann so lange keine Rede sein, als sich die Eignung und Erforderlichkeit geringerer Grenzwerte mangels verlässlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse noch gar nicht abschätzen lässt. Das Oberverwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass es allein der politischen Entscheidung des Verordnungsgebers obliegt, ob er - bei gebotener Beachtung konkurrierender öffentlicher und privater Interessen - Vorsorgemaßnahmen in einer solchen Situation der Ungewissheit sozusagen "ins Blaue hinein" ergreifen will. Dementsprechend verlangt die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht von den Gerichten, den Verordnungsgeber deshalb auf einer wissenschaftlich ungeklärten Tatsachengrundlage zur Herabsetzung der Grenzwerte zu verpflichten, weil nachteilige Auswirkungen von Immissionen auf die menschliche Gesundheit nicht ausgeschlossen werden können.

... Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, das Verwaltungsgericht sei nicht verpflichtet gewesen, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Gefährlichkeit hochfrequenter elektromagnetischer Felder durch Einholung von Sachverständigenbeweisen zu ermitteln, ist ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Bei komplexen Gefährdungslagen, über die noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, kommt dem Verordnungsgeber ein angemessener Erfahrungs- und Anpassungsspielraum zu. In einer solchen Situation der Ungewissheit verlangt die staatliche Schutzpflicht von den Gerichten weder, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts zur Durchsetzung zu verhelfen, noch, die Vorsorgeentscheidung des Verordnungsgebers unter Kontrolle zu halten und die Schutzeignung der Grenzwerte jeweils nach dem aktuellen Stand der Forschung zu beurteilen. Es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um gegebenenfalls weiter gehende Schutzmaßnahmen treffen zu können. Eine Verletzung der Nachbesserungspflicht durch den Verordnungsgeber kann gerichtlich erst festgestellt werden, wenn evident ist, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit auf Grund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich untragbar geworden ist<ref>vgl. BVerfGE 49, 89 (130, 132 f.); 56, 54 (78 ff.); BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. Februar 1997, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 1998, NVwZ 1998, S. 631</ref>. Das Oberverwaltungsgericht trägt dieser eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsbefugnis in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dadurch Rechnung, dass es eine eigenständige Risikoeinschätzung auf der Grundlage einer gerichtlichen Beweiserhebung von der konkreten Darlegung gesicherter Erkenntnisse von erheblichem wissenschaftlichem Gewicht abhängig macht, die anerkannte Stellen über eine unzureichende Schutzeignung der geltenden Grenzwerte gewonnen haben.

Eine solche Verteilung der Verantwortung zur Beurteilung komplexer, wissenschaftlich umstrittener Gefährdungslagen zwischen Exekutive und Gerichten trägt auch den nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung<ref>vgl. BVerfGE 61, 82 (114 f.); 84, 34 (50); 95, 1 (15) m.w.N.</ref>. Dies zeigt der vorliegend in Rede stehende Forschungsbereich deutlich. Untersuchungen zu den Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf den Menschen finden bereits seit längerem auf internationaler Ebene und fachübergreifend statt, insbesondere auch zu den hier in Rede stehenden Einwirkungen unterhalb der geltenden Grenzwerte. Die Forschungen sind nach wie vor keineswegs abgeschlossen. Vielmehr ist die Zahl neuer Forschungsarbeiten äußerst groß<ref>vgl. BTDrucks 14/3911, S. 48 f. zu einer parlamentarischen Anfrage</ref>. In dieser Situation kann durch die Betrachtung einzelner wissenschaftlicher Studien kein konsistentes Bild über die Gefährdungslage erlangt werden; eine kompetente Risikobewertung setzt stattdessen die laufende fachübergreifende Sichtung und Bewertung der umfangreichen Forschung voraus<ref>vgl. BTDrucks 14/3911, a.a.O.; Weese, BWGZ 2001, S. 781, 782</ref>. Diese Aufgabe wird von verschiedenen internationalen und nationalen Fachkommissionen wahrgenommen, unter anderem von einer beim Bundesamt für Strahlenschutz gebildeten Arbeitsgruppe von Experten aus den mit dem Forschungsgegenstand befassten Fachrichtungen<ref>vgl. BTDrucks 14/3911, a.a.O. und 14/6999, S. 44 f. jeweils auf parlamentarische Anfragen</ref>. Es liegt auf der Hand, dass die gerichtliche Beweiserhebung anlässlich eines konkreten Streitfalles die gebotene Gesamteinschätzung des komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht leisten kann. Eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte kann erst erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen lässt, welche anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden können.

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dem Vorbringen des Beschwerdeführers ließen sich keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die den Grenzwerten für Hochfrequenzanlagen zu Grunde liegende Risikoeinschätzung des Verordnungsgebers auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse überholt sein könnte. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers die Bedeutung und Tragweite der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht verkannt haben könnte.

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgelegten wissenschaftlichen Publikationen hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, auch in diesen Publikationen werde eingeräumt, dass es derzeit keinen ausreichenden wissenschaftlichen Nachweis über eine gesundheitsschädliche Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder unterhalb der geltenden Grenzwerte gebe; den vorgelegten Berichten sei zu entnehmen, dass der Nachweis einer pathogenetischen Rolle der beschriebenen biologischen Effekte der Strahlung bisher nicht zu führen sei. Gleichwohl gegebene Empfehlungen geringerer Grenzwerte seien daher ausdrücklich als "rein vorbeugend" gekennzeichnet worden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers gab dem Gericht auf der Grundlage seiner Feststellungen von Verfassungs wegen keinen Anlass zu weiter gehender Klärung der Gefährdungslage.

Ohne Verfassungsverstoß hat das Oberverwaltungsgericht schließlich auch eine Pflicht des Verwaltungsgerichts zur Durchführung einer Beweisaufnahme über die Behauptung des Beschwerdeführers verneint, die sich innerhalb der Grenzwerte haltenden Immissionen der benachbarten Hochfrequenzanlage hätten jedenfalls bei ihm zu gesundheitlichen Schädigungen geführt. Das gilt schon deshalb, weil der Beschwerdeführer nach der Feststellung des Oberverwaltungsgerichts nicht ansatzweise aufgezeigt hat, dass eine wissenschaftliche Untersuchung seiner individuellen Gefährdungssituation neue Einsichten zu der Frage erbringen könnte, ob und gegebenenfalls auf welche Weise Immissionen von Hochfrequenzanlagen, die die Grenzwerte einhalten, sich nachteilig auf die Gesundheit des Menschen auswirken. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer einen solchen neuen Forschungsansatz hätte dartun können. Denn bereits bisher wurden in geeigneten Fällen neben Zellversuchen und Tierexperimenten auch Untersuchungen an Personen vorgenommen, etwa an solchen, die berufsbedingt hochfrequenten Feldern ausgesetzt sind oder waren, oder die geltend machen, ihre gesundheitliche Beeinträchtigung werde durch elektromagnetische Felder ausgelöst<ref>vgl. Empfehlungen der Strahlenschutzkommission vom September 2001, S. 32 ff., 38</ref>.

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Rechtsprechung

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<references />