Klagebefugnis eines Gemeinderatsmitglieds wegen Verstoß gegen die Vorschriften über die Sitzungsöffentlichkeit

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Ein Stadtrat hat nach der Rechtsprechung der bayerischen Justiz - anders als etwa in Hessen<ref>Hessischer Verwaltungsgerichtshof, LKRZ 2008, 22</ref> oder Nordrhein-Westfalen<ref>Urteil vom 19.12.1978 – XV A 1031/77 -, Der Städtetag 1979, 528; NVwZ-RR 1990, 186; Urteil vom 24.2.2001 – 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31 = NVwZ-RR 2002, 135; NWVBl 2009, 221/222; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2008 - 15 A 2129/08</ref> - keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Herstellung der Sitzungsöffentlichkeit oder Feststellung der Rechtswidrigkeit ihres Ausschlusses, geschweige denn die Gemeindebürger<ref>BayVGH, Beschluss vom 29.09.1988 - 4 C 88.1919, Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Verlag C.H.Beck München, 23. ErgL, Stand Mai 2010, ISBN 9783406594984, BayVGH Fst. 1988, Rn. 322, genauso wohl VGH Mannheim, Der Städtetag 1992, 391, zitiert nach FES, Wegbeschreibung für die kommunale Praxis, Die (Nicht-)Öffentlichkeit der Sitzung</ref>.

Rechtslage in anderen Bundesländern

Klagebefugnis

Dass man die Bedeutung von Transparenz und Öffentlichkeit auch anders würdigen kann, zeigt die Rechtsprechung in Nordrhein-Westfalen. Das Oberwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 24.04.2001 – 15 A 3021/97<ref>OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.04.2001 - 15 A 3021/97 = DVBl 2001, 1281 = NVwZ-RR 2002, 135</ref> - in aller Deutlichkeit die Rechte der Stadträte, der Stadtratsfraktionen und der Gemeindebürger gestärkt:

"Nach diesem Maßstab ist die Klagebefugnis sowohl der drei klagenden Ratsfraktionen … als auch der Klägerin zu 5. zu bejahen. Die Klägerin zu 5. tritt im vorliegenden Rechtsstreit in ihrer Eigenschaft als Ratsmitglied... auf. … Der Klägerin 5. steht als Ratsmitglied ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit … durch den Bürgermeister und durch den Rat zu. Insofern hält der Senat entgegen vielfach geübter Kritik für das nordrhein-westfälische Gemeinderecht an seiner früheren Rechtsprechung fest. … der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit [ist] zumindest auch den Ratsmitgliedern als wehrfähiges subjektives Organrecht zugewiesen. … Belegt schon das Antragsrecht des Ratsmitglieds aus § 48 Abs. 2 Satz 3 GO NRW, dass subjektive Organrechte im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit auch Ratsmitgliedern zustehen, so kommt entscheidend hinzu, dass die Behandlung einer Angelegenheit in nichtöffentlicher Sitzung das Ratsmitglied verpflichtet, über diese Angelegenheit nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 Satz 1 GO NRW Verschwiegenheit zu wahren. Denn als Angelegenheiten, deren Geheimhaltung im Sinn des § 30 Abs. 1 Satz 1 GO NRW vom Rat beschlossen wurde, gelten nach nahezu übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur diejenigen Angelegenheiten, die auch ohne ausdrücklichen Ratsbeschluss in nichtöffentlicher Sitzung beraten werden. ...Durch diese gleichsam automatische Einbeziehung in die Verschwiegenheitspflicht gerät jeder Ausschluss der Sitzungsöffentlichkeit notwendig in Konflikt mit dem sonst gegebenen Recht des Ratsmitglieds auf freie Mandatsausübung (§ 43 Abs. 1 GO NRW), dessen wesentliches Element die Befugnis ist, zu jeder Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft öffentliche Überzeugungsbildung innerhalb und außerhalb der Ratsgremien zu betreiben. Berät der Rat eine Angelegenheit in nichtöffentlicher Sitzung, so liegt darin zugleich eine Einschränkung des Mandatsausübungsrechts, die das Ratsmitglied nur dann hinzunehmen hat, wenn die gesetzlichen oder geschäftsordnungsrechtlichen Voraussetzungen für eine derartige Verfahrensweise gegeben sind. ... Das kann nicht die Schlussfolgerung rechtfertigen, der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit sei ein ausschließlich objektiv-rechtlicher Rechtssatz, dessen Wahrung allein der Kommunalaufsicht obliege. Dem steht die aus der Entstehungsgeschichte zu entnehmende Zielsetzung der Vorschrift entgegen, das Interesse des Bürgers am kommunalpolitischen Geschehen und seine Bereitschaft zum kommunalpolitischen Engagement durch Schaffung von Publizität und Kontrolle der kommunalen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu fördern. Diese Zielsetzung legt es nahe, einen Anspruch zumindest des Bürgers auf Teilnahme an und auf Herstellung oder Beibehaltung der Öffentlichkeit von Rats- und Ausschusssitzungen anzunehmen.... Auch den klagenden Ratsfraktionen ...steht ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit in § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW durch den Bürgermeister und durch den Rat zu. Auch insoweit ergibt die systematische Auslegung der genannten Vorschrift, dass Ratsfraktionen in Bezug auf die Sitzungsöffentlichkeit mit eigenen wehrfähigen Organrechten ausgestattet sind. ... Aus § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 GO NRW ergibt sich jedoch das grundsätzliche Recht der Ratsfraktionen, ihre Auffassung öffentlich darzustellen, soweit sie bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung im Rat mitwirken. ... Maßgeblich ist nur, dass die ratsinterne Öffentlichkeitsarbeit den Fraktionen durch die genannte Vorschrift als eigenes subjektives Organrecht zugewiesen ist. ...."

Die Klagebefugnis eines Stadtrats wegen Verstoß gegen die Vorschriften über die Sitzungsöffentlichkeit ist im Übrigen bundesweit umstritten<ref>vgl. zu den folgenden Ausführungen Stühler, Vorlesung IV am 20.6.2013 in Konstanz von 13.30 Uhr bis 16.45</ref>.

Pro

Contra

  • VGH Baden-Württemberg<ref>Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 2242/91 -, VBlBW 1992, 375; Beschluss vom 2. September 2011 – 1 S 1318/11 -;</ref>
  • VGH München<ref>BayVBl 1977, 182; BayVBl 1992, 375</ref>
  • OVG Koblenz<ref>NVwZ-RR 1996, 685</ref>.

Unwirksamkeit von Beschlüssen?

Ja

  • VGH Baden- Württemberg<ref>NVwZ-RR 2001, 462; Urteil vom 12.9.1997 – 5 S 2498/95 -, NJW-RR 1998, 877</ref>
  • BayVGH, Urteil vom 26.01.2009 - 2 N 08.124 = BayVBl. 2009, 344 (bis dato nur Satzungsbeschlüsse)
  • Nordrhein-Westfälischer Verfassungsgerichtshof<ref>NJW 1976, 1931</ref>
  • Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht,<ref>NVwZ-RR 2003, 774</ref>

Nein

  • OVG Hamburg <ref>Urteil vom 12.12.2007 – 2 E 4/04.N -, BRS 73 Nr. 25</ref>
  • BVerwG<ref>Beschluss vom 4.9.2008 – 4 BN 9.08 -, BRS 73 Nr. 26</ref>.

Rechtsprechung

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Landesverfassungsgerichte

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH)

Weitere Oberverwaltungsgerichte

Verwaltungsgerichte

Siehe auch

Fußnoten

<references/>