Inländische juristische Person (Art. 19 Abs. 3 GG)

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Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. (GG Art. 19 Abs. 3)

Juristische Person

Grundsatz

"1. Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind die Grundrechte in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben<ref>BVerfGE 50, 290 [337]; vgl. auch BVerfGE 61, 82 [100]</ref>. Demgemäß dienen sie vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt; darüber hinaus sichern sie Voraussetzungen und Möglichkeiten für eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen<ref>vgl. BVerfGE 15, 256 [262]; 21, 362 [369]; 59, 231 [255]; 61, 82 [100 f.]; 65, 1 [43]</ref>. Juristische Personen als Grundrechtsinhaber anzusehen und sie in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte einzubeziehen, ist nur dann gerechtfertigt, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist, insbesondere wenn der "Durchgriff" auf die hinter ihnen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt<ref>BVerfGE 21, 362 [369]; 61, 82 [101]</ref>.

Diese Voraussetzungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei juristischen Personen des Privatrechts vielfach erfüllt<ref>vgl. BVerfGE 39, 302 [312]</ref>. Bei ihnen kann daher grundsätzlich von einer möglichen Grundrechtsfähigkeit ausgegangen und sodann im Einzelfall geprüft werden, ob das mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachte einzelne Grundrecht seinem Wesen nach auf den jeweiligen Beschwerdeführer anwendbar ist<ref>vgl. BVerfGE 21, 362 [368 f.]</ref>. Demgegenüber sind die materiellen Grundrechte und der zu ihrer Verteidigung geschaffene Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde auf juristische Personen des öffentlichen Rechts nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nicht anwendbar. Jedenfalls gilt dies, soweit sie öffentliche Aufgaben erfüllen<ref>BVerfGE 21, 362 [369 ff.]; 45, 63 [78]; 61, 82 [101]</ref>. Denn die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch juristische Personen des öffentlichen Rechts vollzieht sich in aller Regel nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten, sondern aufgrund von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet und inhaltlich bemessen und begrenzt sind. Die Regelung dieser Beziehungen und die Entscheidung daraus resultierender Konflikte sind nicht Gegenstand der Grundrechte, weil der unmittelbare Bezug zum Menschen fehlt<ref>BVerfGE 21, 362 [370 f.]; 61, 82 [101]</ref>. Für den Rechtsschutz im Streitfall bestehen besondere Verfahren. Dagegen kann die Verfassungsbeschwerde als der spezifische Rechtsbehelf des Bürgers gegen den Staat nicht dazu benutzt werden, die Zuständigkeitsordnung im Verhältnis der Hoheitsträger untereinander zu schützen oder für die Einhaltung der gesetzmäßigen Formen bei einer Änderung zu sorgen<ref>BVerfGE 21, 362 [370 f.]</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 31.10.1984 - 1 BvR 35/82; 1 BvR 356/82; 1 BvR 794/82</ref>

Ausnahme: Nicht-Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts

"Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen hat das Bundesverfassungsgericht für solche juristische Personen des öffentlichen Rechts oder ihre Teilgliederungen anerkannt, die von den ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind<ref>BVerfGE 15, 256 [262] - Universitäten und Fakultäten: Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG; BVerfGE 31, 314 [322]; 59, 231 [254] - Rundfunkanstalten: Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG</ref> oder kraft ihrer Eigenart ihm von vornherein zugehören<ref>vgl. BVerfGE 18, 385 [386 f.] - Kirchen</ref>. Bei diesen Ausnahmen handelt es sich durchweg um juristische Personen des öffentlichen Rechts, die (im Umfang der dargelegten Zuordnung) Bürgern (auch) zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte dienen, und die als eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen bestehen<ref>BVerfGE 45, 63 [79]; 61 82 [103]</ref>. Ihre Tätigkeit betrifft insoweit nicht den Vollzug gesetzlich zugewiesener hoheitlicher Aufgaben, sondern die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten. In den grundrechtsgeschützten Lebensbereich gehört indessen das Wirken juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht allein deshalb, weil ihnen Selbstverwaltungsrechte zustehen<ref>BVerfGE 21, 362 [370]; 39, 302 [314]; 61, 82 [103]</ref>. Auch der Umstand, daß eine juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche Aufgaben, also Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit, wahrnimmt, macht sie nicht zum grundrechtsgeschützten "Sachwalter" des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß der Bürger selbst seine Grundrechte wahrnimmt und etwaige Verletzungen geltend macht<ref>vgl. BVerfGE 61, 82 [103 f.]</ref>.

Die vorstehenden Darlegungen zeigen: Grund der Nicht-Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts ist nicht die Rechtsform als solche. Maßgebend ist vielmehr, ob und inwieweit in der Rechtsstellung als juristische Person des öffentlichen Rechts eine Sach- und Rechtslage Ausdruck findet, welche nach dem "Wesen" der Grundrechte deren Anwendung auf juristische Personen entgegensteht. Diese Frage wird sich nicht in einer generellen Formel beantworten lassen. Es kommt namentlich auf die Funktion an, in der eine juristische Person des öffentlichen Rechts von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird. Besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist die juristische Person zumindest insoweit nicht grundrechtsfähig."<ref>BVerfG, Beschluss vom 31.10.1984 - 1 BvR 35/82; 1 BvR 356/82; 1 BvR 794/82</ref>

Handwerksinnungen

"Die beschwerdeführenden Zahntechnikerinnungen können sich hiernach gegenüber den von ihnen angegriffenen Vorschriften des Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetzes nicht auf die als verletzt gerügten Grundrechte berufen.

a) Handwerksinnungen sind freiwillige Zusammenschlüsse der selbständigen Handwerker des gleichen Handwerks oder sich fachlich oder wirtschaftlich nahestehender Handwerke innerhalb eines bestimmten Bezirks (§ 52 Abs. 1 HwO) zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder (§ 54 Abs. 1 HwO). Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts mit dem Recht auf Selbstverwaltung (§ 53 HwO) und unterliegen der Rechtsaufsicht der Handwerkskammer (§ 75 HwO). Ihnen sind eine Reihe von (Pflicht-)Aufgaben - vorwiegend im Bereich des handwerklichen Berufsausbildungs- und Prüfungswesens - zur Erfüllung mit hoheitlichen Mitteln übertragen. Der in § 54 Abs. 1 HwO enthaltene Aufgabenkatalog ist nicht abschließend; es ist dem Staat unbenommen, weitere, ihm obliegende Aufgaben zu delegieren<ref>vgl. BVerfGE 15, 235 [240, 242]</ref>. Insoweit nehmen die Innungen öffentliche Aufgaben in hoheitlicher Form wahr<ref>vgl. BVerfGE 20, 312 [321]</ref>. Daneben sind in § 54 Abs. 2 und 3 HwO freiwillige Aufgaben aufgeführt, einschließlich des Rechts, Tarifverträge abzuschließen<ref>vgl. hierzu BVerfGE, a.a.O. [317 ff.]</ref>.

b) Handwerksinnungen sind damit, auch ohne Zwangsmitgliedschaft, einerseits Teil der (im weiteren Sinne) staatlichen Verwaltung; andererseits nehmen sie die gemeinsamen berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen der in ihnen zusammengeschlossenen Handwerker wahr<ref>vgl. zu dieser "Doppelnatur" Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, 1976, S. 315 ff.; Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 106, 163 mit Anm. 380</ref>. Inwieweit sie bei der Wahrnehmung der letztgenannten Aufgaben partiell Träger bestimmter Grundrechte sein können, ist hier nicht zu entscheiden. Denn die angegriffenen gesetzlichen Regelungen gehören in denjenigen Funktionsbereich, in dem die Innungen Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnehmen; sie werden insoweit als Träger öffentlicher, vom Staat durch Gesetz übertragener und geregelter Aufgaben und Befugnisse betroffen."<ref>BVerfG, Beschluss vom 31.10.1984 - 1 BvR 35/82; 1 BvR 356/82; 1 BvR 794/82</ref>

Gemeinden

"Auch außerhalb des Bereichs der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben steht einer Gemeinde das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zu."<ref>Amtlicher Leitsatz 1</ref> "Denn in der Hand einer Gemeinde dient das Eigentum nicht der Funktion, derentwegen es durch das Grundrecht geschützt ist, nämlich dem Eigentümer "als Grundlage privater Initiative und in eigenverantwortlichem privatem Interesse von Nutzen" zu sein.<ref>vgl. BVerfGE 52, 1 [30], m.w.N.; vgl. auch BVerfGE 24, 367 [389]</ref>."<ref>BVerfG, Beschluss vom 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80 Abs. 83 f.</ref>

Inländisch

Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union

Auszug aus BVerfG, Beschluss vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09:

"Die Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt eine aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vertraglich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes dar.

1. Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. ...

a) Demgegenüber hat der Senat bislang entschieden, dass sich ausländische juristische Personen auf materielle Grundrechte - anders als auf prozessuale Grundrechte wie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG<ref>vgl. BVerfGE 12, 6 [8]; 18, 441 [447]; 21, 362 [373]; 64, 1 [11]</ref> - nicht berufen können. Zur Begründung hat er auf Wortlaut und Sinn von Art. 19 Abs. 3 GG verwiesen, die eine entsprechende ausdehnende Auslegung verböten<ref>vgl. BVerfGE 21, 207 [208 f.]; 23, 229 [236]; 100, 313 [364]</ref>. In anderen Entscheidungen haben beide Senate des Bundesverfassungsgerichts die Grundrechtsberechtigung ausländischer juristischer Personen ausdrücklich dahingestellt<ref>vgl. allgemein BVerfGE 12, 6 [8]; 34, 338 [340]; 64, 1 [11]; sowie BVerfGE 18, 441 [447] hinsichtlich Art. 14 Abs. 1 GG</ref>.

Mit der spezielleren Frage, ob ausländische juristische Personen, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben, Träger materieller Grundrechte des Grundgesetzes sein können, hat sich das Bundesverfassungsgericht hingegen bislang nicht näher befasst. Allerdings wurde in einer Entscheidung aus dem Jahr 1968 die Verfassungsbeschwerde einer Vereinigung französischen Rechts mit Sitz in Frankreich ohne weitere Begründung für unzulässig erklärt<ref>BVerfGE 23, 229 [236]</ref>; in der Entscheidung aus dem Jahr 1973 zu einer französischen Handelsgesellschaft blieb deren Grundrechtsfähigkeit ausdrücklich dahingestellt<ref>BVerfGE 34, 338 [340]</ref>. In der Literatur ist die Frage umstritten<ref>vgl. befürwortend Drathen, Deutschengrundrechte im Lichte des Gemeinschaftsrechts, 1994; H. Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 3 Rn. 20 f., 83 f.; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Abs. 3 Rn. 305 ff.; Kotzur, DÖV 2001, S. 192 [195 ff.]; Remmert, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 93 ff. [Mai 2009]; ablehnend Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985, S. 46 ff.; Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 120 Rn. 36 ff.; v. Mutius, in: Bonner Kommentar zum GG 1975, Art. 19 Abs. 3 Rn. 50, 52; Weinzierl, Europäisierung des deutschen Grundrechtsschutzes?, 2006</ref>.

b) Nach dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte "für inländische juristische Personen". Wegen der Beschränkung auf inländische juristische Personen lässt sich eine Anwendungserweiterung nicht mit dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 GG begründen. Es würde die Wortlautgrenze übersteigen, wollte man seine unionsrechtskonforme Auslegung auf eine Deutung des Merkmals "inländische" als "deutsche einschließlich europäische" juristische Personen stützen. Auch wenn das Territorium der Mitgliedstaaten der Europäischen Union angesichts des ihren Bürgern gewährleisteten Raumes "der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen" mit freiem Personenverkehr (Art. 3 Abs. 2 EUV) nicht mehr "Ausland" im klassischen Sinne sein mag, wird es dadurch nicht zum "Inland" im Sinne der territorialen Gebietshoheit<ref>vgl. BVerfGE 123, 267 [402 f.]</ref>.

Der Vorschrift lag jedoch kein Wille des Verfassungsgebers zugrunde, eine Berufung auf die Grundrechte auch seitens juristischer Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union dauerhaft auszuschließen. Der Allgemeine Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rats kam in einem Entwurf eines Art. 20a GG, der dem heutigen Art. 19 Abs. 3 GG entsprach, zu dem Schluss, es "dürfte kein Anlass bestehen, auch ausländischen juristischen Personen den verfassungsmäßigen Schutz der Grundrechte zu gewähren" (Parlamentarischer Rat, Drucks. 370 vom 13. Dezember 1948). Aus diesem Grund hatte der Vorsitzende des Ausschusses für Grundsatzfragen, v. Mangoldt, vorgeschlagen, das Wort "inländische" einzufügen, womit sich der Ausschuss einverstanden erklärte<ref>Kurzprotokoll der 32. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, Drucks. 578 vom 11. Januar 1949, S. 10</ref>.

In den Jahren 1948/49 stand die Entwicklung eines gemeinsamen Europas noch am Anfang. Seitdem hat die Europäische Union zunehmend Gestalt angenommen und ist heute als hochintegrierter "Staatenverbund"<ref>BVerfGE 123, 267 [348]</ref> ausgestaltet, an dem die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 Abs. 1 GG mitwirkt. Die Anwendungserweiterung von Art. 19 Abs. 3 GG nimmt diese Entwicklung auf.

2. Die Anwendungserweiterung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen aus der Europäischen Union entspricht den durch die europäischen Verträge übernommenen vertraglichen Verpflichtungen, wie sie insbesondere in den europäischen Grundfreiheiten und - subsidiär - dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV zum Ausdruck kommen. Die Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot stehen im Anwendungsbereich des Unionsrechts einer Ungleichbehandlung in- und ausländischer Unternehmen aus der Europäischen Union entgegen und drängen insoweit die in Art. 19 Abs. 3 GG vorgesehene Beschränkung der Grundrechtserstreckung auf inländische juristische Personen zurück.

a) Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist seit 1957 in den europäischen Verträgen verankert und wurde im Lissabonner Vertrag unverändert in Art. 18 AEUV übernommen. Es ist ein Grundprinzip des Unionsrechts<ref>EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 - C-115/08 Österreich/CEZ -, EuZW 2010, S. 26, Rn. 89; vgl. schon H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 592</ref>, das in den Grundfreiheiten weiter ausgestaltet wird. Das Diskriminierungsverbot gehört zum Kernbestand der Unionsbürgerschaft und ist unmittelbar vor mitgliedstaatlichen Gerichten anwendbar; es begünstigt neben natürlichen auch juristische Personen<ref>vgl. EuGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 - Phil Collins -, a. a. O., Rn. 30 ff.</ref>. Das allgemeine und die speziellen Diskriminierungsverbote verpflichten die Mitgliedstaaten und alle ihre Organe und Stellen, juristische Personen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat auch im Hinblick auf den zu erlangenden Rechtsschutz Inländern gleichzustellen. In einem Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage des Bundesgerichtshofs hat der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, dass die europarechtliche Niederlassungsfreiheit eine nichtdiskriminierende Beurteilung der Rechts- und damit Parteifähigkeit vor deutschen Zivilgerichten verlangt<ref>Urteil vom 5. November 2002 - Überseering -, a. a. O., Rn. 76 ff.</ref>.

b) Eine Anwendungserweiterung erübrigt sich nicht, weil ein gleichwertiger Schutz der Beschwerdeführerin anderweitig gesichert wäre. Zwar können sich juristische Personen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat in fachgerichtlichen Verfahren ohnehin auf die unmittelbare Geltung des primären Unionsrechts stützen und bleiben somit auch ohne Berufung auf die deutschen Grundrechte nicht ohne Rechtsschutz. Für einen gleichwertigen Schutz im Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote reicht es jedoch nicht aus, wenn ausländische juristische Personen zwar im fachgerichtlichen Verfahren auf eine materielle Gleichstellung mit inländischen juristischen Personen hinwirken, ihre Rechte aber gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mangels Grundrechtsträgerschaft nicht auch mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts durchsetzen können.

c) Ein Eingreifen der aus den Grundfreiheiten und Art. 18 AEUV abgeleiteten unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote setzt voraus, dass die betroffenen juristischen Personen aus der Europäischen Union im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden. Der Anwendungsbereich der Verträge richtet sich insoweit nach dem jeweiligen Stand des Primär- und Sekundärrechts der Europäischen Union und damit nach den ihr in den europäischen Verträgen übertragenen Hoheitsrechten<ref>Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV, vgl. BVerfGE 123, 267 [349 ff.]; 126, 286 [302]</ref>. Insbesondere ist er bei der Verwirklichung der Grundfreiheiten des Vertrags und dem Vollzug des Unionsrechts eröffnet. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin, die sich unter anderem auf unionsrechtlich (teil-) harmonisiertes Urheberrecht beruft, welches durch wirtschaftliche Aktivitäten in Deutschland verletzt worden sein soll, fällt in den Anwendungsbereich der Verträge in diesem Sinne<ref>vgl. EuGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 - Phil Collins -, a. a. O., Rn. 22, 27; Urteil vom 6. Juni 2002 - C-360/00 Ricordi -, Slg. 2002, S. I-5088, Rn. 24</ref>.

d) Durch die Anwendungserweiterung des Art. 19 Abs. 3 GG werden juristische Personen mit einem Sitz im EU-Ausland ebenso behandelt wie inländische juristische Personen. Dies impliziert umgekehrt, dass EU-Ausländern die gleichen Vorschriften der Verfassung wie inländischen juristischen Personen entgegengehalten werden können. Voraussetzung der Berufungsmöglichkeit auf die Grundrechte ist demnach ein hinreichender Inlandsbezug der ausländischen juristischen Person, der die Geltung der Grundrechte in gleicher Weise wie für inländische juristische Personen geboten erscheinen lässt. Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn die ausländische juristische Person in Deutschland tätig wird und hier vor den Fachgerichten klagen und verklagt werden kann (so der Sache nach zu den Prozessgrundrechten bereits BVerfGE 12, 6 [8]; 18, 441 [447]).

e) Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof durch das Bundesverfassungsgericht bedarf es nicht. Die nationalen Gerichte sind selbst dazu befugt, eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts vorzunehmen. Die richtige Auslegung der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote ist hier so offenkundig, dass keinerlei Raum für vernünftige Zweifel bleibt ("acte clair"; vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81 C. I. L. F. I. T. -, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 16).

3. Die Anwendungserweiterung des Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union reagiert auf die europäische Vertrags- und Rechtsentwicklung und vermeidet eine Kollision mit dem Unionsrecht. Die Bundesrepublik Deutschland ist an Art. 18 AEUV und die sich aus den Grundfreiheiten ergebenden Diskriminierungsverbote einschließlich ihres Anwendungsvorrangs vor nationalem Recht<ref>vgl. BVerfGE 126, 286 [301 f.]</ref> gebunden. Die Anwendungserweiterung beachtet den Grundsatz, dass das supranational begründete Recht der Europäischen Union keine rechtsvernichtende, derogierende Wirkung gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht entfaltet, sondern nur dessen Anwendung soweit zurückdrängt, wie es die Verträge erfordern und es die durch das Zustimmungsgesetz erteilten Rechtsanwendungsbefehle erlauben. Mitgliedstaatliches Recht wird insoweit lediglich unanwendbar<ref>vgl. BVerfGE 123, 267 [398 ff.]; 126, 286 [301 f.]</ref>. Die europarechtlichen Vorschriften verdrängen Art. 19 Abs. 3 GG nicht, sondern veranlassen lediglich die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf weitere Rechtssubjekte des Binnenmarkts. Art. 23 Abs. 1 Satz 2, 3 GG erlaubt, unter Wahrung der in Art. 79 Abs. 2, 3 GG genannten Voraussetzungen Hoheitsgewalt auch insoweit auf die Europäische Union zu übertragen, als dadurch die Reichweite der Gewährleistungen des Grundgesetzes geändert oder ergänzt wird, ohne dass dabei das Zitiergebot des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG eingreift<ref>vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5. November 1993, BTDrucks 12/6000, S. 21; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 87; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Oktober 2009, Art. 23 Rn. 115</ref>. Mit der vertraglichen Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zu den Vorläuferregelungen zu Art. 18 AEUV und zu den Grundfreiheiten wurde unter Wahrung der Grenzen des Art. 79 Abs. 2, 3 GG auch der Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote mit der von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG geforderten Mehrheit gebilligt<ref>vgl. BVerfGE 126, 286 [302]</ref>. Dies wirkt sich auch auf den Anwendungsbereich der Grundrechte aus, sofern eine Erstreckung der Grundrechtsgeltung auf juristische Personen aus der Europäischen Union veranlasst ist, um im Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft zu vermeiden. Die einzelnen Grundrechte des Grundgesetzes verändern sich durch die Erweiterung des Art. 19 Abs. 3 GG jedoch nicht.

4. Die dem Bundesverfassungsgericht aufgegebene Kontrolle des europäischen Rechts auf Erhaltung der Identität der nationalen Verfassung, auf Einhaltung der nach dem System der begrenzten Einzelermächtigung überlassenen Kompetenzen und der Gewährleistung eines im Wesentlichen dem deutschen Grundrechtsschutz gleichkommenden Schutzniveaus bleibt erhalten. Die Identität der Verfassung<ref>vgl. BVerfGE 123, 267 [354, 398 ff.]; 126, 286 [302 f.]</ref> wird durch die Erweiterung der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG offensichtlich nicht berührt."<ref>BVerfG, Beschluss vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09</ref>

Normen

Rechtsprechung

Publikationen

  • Daniel Krausnick, Grundfälle zu Art. 19 Abs. 3 GG, JuS 2008, 869 ff., 965 ff.
  • Schoch, Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Jura 2001, 201-207

Siehe auch

Fußnoten

<references />