Schadensersatz im Unterschwellenbereich
"Der Schadensersatzanspruch eines Bieters setzt nach ständiger Rechtsprechung (u.a.) voraus, dass dem Bieter bei ordnungsgemäßen Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag hätte erteilt werden müssen<ref>(BGH, Urteil vom 20.11.2012 - X ZR 108/10)</ref>. Dies hängt vorliegend davon ab, ob die Beklagte und Berufungsklägerin das Vergabeverfahren aufheben durfte. Grundsätzlich gilt bei Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich (wie hier) das Willkürverbot, das dann verletzt ist, wenn das um Rechtsschutz nachsuchende Unternehmen keine faire Chance im Wettbewerb bekommen hat<ref>(vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2006 - 1 BA 1160/03; hierzu auch Scharen in VergabeR 5/2011, S. 653, 656)</ref>. Eine Aufhebung der Ausschreibung ist nach der Rechtsprechung aber erlaubt, wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheint und die im Vergabeverfahren abgegeben Gebote deutlich darüber liegen<ref>(BGH, a.a.O.)</ref>. Die Kostenschätzung ist eine Prognose, die dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer der Materie angemessenen methodisch vertretbaren Weise erarbeitet wurde<ref>(BGH, Urteil vom 8.9.1998 - X ZR 99/96)</ref>."<ref>LG Oldenburg, Urteil vom 18.06.2014 – 5 S 610/13</ref>
Mögliche Ansprüche
- Entgangener Gewinn
- Kosten der Angebotserstellung
- Entgelt für die Angebotsunterlagen
- Zinsen
- Rechtsanwaltskosten
Sachverhalte
Aufhebung von Vergabeverfahren
Der öffentliche Auftraggeber ist nach VgV § 63 Abs. 1 Satz 1, UVgO § 48 berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn
- kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht,
- sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat,
- kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde oder
- andere schwerwiegende Gründe bestehen.
Im Übrigen ist der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen (VgV § 63 Abs. 1 Satz 2; UVgO § 48 Abs. 2).
Der öffentliche Auftraggeber teilt den Bewerbern oder Bietern nach Aufhebung des Vergabeverfahrens unverzüglich die Gründe für seine Entscheidung mit, auf die Vergabe eines Auftrages zu verzichten oder das Verfahren erneut einzuleiten (VgV § 63 Abs. 2 Satz 1). Auf Antrag teilt er ihnen dies in Textform nach BGB § 126b mit (VgV § 63 Abs. 2 Satz 2).
Im Baubereich kann nach VOB/A § 17 Abs. 1 die Ausschreibung aufgehoben werden, wenn:
- kein Angebot eingegangen ist, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht,
- die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen,
- andere schwerwiegende Gründe bestehen.
Rechtsprechung
Bundesgerichtshof (BGH)
- BGH, Urteil vom 08.12.2020 - XIII ZR 19/19
- "a) Verletzt der öffentliche Auftraggeber eine Rücksichtnahmepflicht im vorvertraglichen Schuldverhältnis, indem er ein Vergabeverfahren rechtswidrig aufhebt (hier: ohne einen Aufhebungsgrund nach VOB/A § 17 Abs.1), steht dem Bieter, auf dessen Angebot bei Vergabe des Auftrags der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, ein Schadensersatzanspruch zu. Der Anspruch ist auf den Ersatz des Schadens gerichtet, der dem Bieter durch die mangelnde Beachtung der für das Verfahren und seine mögliche Aufhebung maßgeblichen Vorschriften entstanden ist.
- b) Dieser zu ersetzende Schaden besteht grundsätzlich in den Aufwendungen, die der Bieter zur Wahrnehmung seiner Chance auf einen Zuschlag vorgenommen hat und hierzu für erforderlich halten durfte. Personalkosten für die Angebotserstellung sind dabei auch ohne konkreten Nachweis des Bieters, dass er ohne diesen Aufwand durch deren Tätigkeit anderweitig Einnahmen erwirtschaftet hätte, ersatzfähig.
- c) Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird, der Zuschlag jedoch nicht demjenigen Bieter erteilt wird, auf dessen Angebot bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften allein ein Zuschlag hätte erteilt werden dürfen.
- d) Dem Abschluss eines Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag an einen nicht zuschlagsberechtigten Bieter ist es gleichzustellen, wenn der öffentliche Auftraggeber ein wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis dadurch herbeiführt, dass er die Ausschreibung aufhebt, ohne dass ein anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt, und den Auftrag außerhalbeines förmlichen Vergabeverfahrens oder in einem weiteren Vergabeverfahren an einen Bieter vergibt, an den der Auftrag nach dem Ergebnis des aufgehobenen Vergabeverfahrens nicht hätte vergeben werden dürfen.
- e) Voraussetzung hierfür ist, dass der später vergebene Auftrag bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise das gleiche Vorhaben und den gleichen Auftragsgegenstand betrifft und die Auftragsvergabe einem Zuschlag im aufgehobenen Vergabeverfahren an einen nicht zuschlagsberechtigten Bieter gleichzustellen ist. Dies ist namentlich der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren nicht im Hinblick auf die Vergabe an den Bieter mit dem annehmbarsten Angebot-aus sachlichen und willkürfreien Gründen aufgehoben hat, sondern um den Auftrag außerhalb dieses Verfahrens an einen anderen Bieter vergeben zu können (Fortführung von BGH, Urteil vom 8.September 1998 -XZR 99/96, juris Rn.35 und BGH, Beschluss vom 20.März 2014 -XZB18/13, NZBau 2014, 310 Rn.21 -FahrbahnerneuerungI)."<ref>Amtlicher Leitsatz</ref>
- BGH, Urteil vom 20.11.2012 - X ZR 108/10
Landgerichte
Links
Siehe auch
Fußnoten
<references/>