Entwicklung des Vergaberechts

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"In Deutschland ist Grundlage der staatlichen Beschaffung traditionell das Haushaltsrecht. Dieses hat nach § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG) die wirtschaftliche und sparsame Verwendung der Haushaltsmittel zum Ziel. Zu diesem Zweck legt § 30 HGrG die öffentliche Ausschreibung als Regelform der Auftragsvergabe fest. Dieser Grundsatz wird in den Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder sowie den landesrechtlichen Gemeindehaushaltsverordnungen dahin konkretisiert, dass beim Abschluss von Verträgen nach einheitlichen Richtlinien zu verfahren ist (vgl. etwa § 55 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung [BHO], § 55 Abs. 2 der Saarländischen Landeshaushaltsordnung, § 31 Abs. 2 der Saarländischen Gemeindehaushaltsverordnung). Derartige Richtlinien enthalten die Verdingungsordnungen, die von Verdingungsausschüssen ausgearbeitet werden, welche aus Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden sowie von Verbänden der Wirtschaft und von Gewerkschaften bestehen. So gilt für Bauleistungen die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (im Folgenden: VOB), deren Teil A das Verfahren für die Vergabe von Bauaufträgen regelt. Die Verfahrensregeln der Verdingungsordnungen werden von dem zuständigen Minister als Verwaltungsvorschriften erlassen. [6] Der traditionelle verwaltungsinterne Ansatz des deutschen Vergaberechts musste unter dem Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts teilweise aufgegeben werden. Neben den wirtschaftlichen Grundfreiheiten des primären Gemeinschaftsrechts gelten für die öffentliche Auftragsvergabe seit den 1970er Jahren sekundärrechtliche Vorgaben. Seit Mitte der 1990er Jahre regelten vier Richtlinien die Rahmenbedingungen der Auftragsvergabe: die Baukoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993, ABl Nr. L 199 vom 9. August 1993, S. 54), die Lieferkoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993, ABl Nr. L 199 vom 9. August 1993, S. 1), die Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992, ABl Nr. L 209 vom 24. Juli 1992, S. 1) und die Sektorenrichtlinie (Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993, ABl Nr. L 199 vom 9. August 1993, S. 84). Diese Richtlinien definierten den Begriff des öffentlichen Auftraggebers und gliederten das Vergabeverfahren detailliert in vier Abschnitte (Verfahrenswahl, Bekanntmachung, Eignungsprüfung und Zuschlag). In den Anwendungsbereich der Richtlinien fielen jedoch nicht sämtliche öffentliche Aufträge. Europaweite Ausschreibungen waren erst vorgeschrieben, wenn die in den Richtlinien festgesetzten Schwellenwerte erreicht wurden. [7] Die Vergaberichtlinien sahen die Einräumung von subjektiven Rechten der Bieter vor. Zur Durchsetzung dieser Rechte wurden die Rechtsmittelrichtlinie (Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989, ABl Nr. L 395 vom 30. Dezember 1989, S. 33) und die Rechtsmittelrichtlinie betreffend die Sektoren (Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992, ABl Nr. L 76 vom 23. März 1992, S. 14) erlassen, nach denen die Mitgliedstaaten ein formelles Nachprüfungsverfahren für die Einhaltung des Verfahrens der Vergabe öffentlicher Aufträge einzurichten haben. Als Mindeststandards wurden unter anderem die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz, die Möglichkeit der Aufhebung rechtswidriger Vergabeentscheidungen und die Gewährung von Schadensersatz festgelegt. [8] Zur Umsetzung der Vergaberichtlinien änderte der Gesetzgeber zunächst mit Gesetz vom 26. November 1993 (BGBl I S. 1928) das Haushaltsgrundsätzegesetz. Auf der Grundlage des neuen § 57 a HGrG erging die Vergabeverordnung von 1994, die die Beachtung der in den A-Teilen der Verdingungsordnungen enthaltenen Vergabevorschriften für Aufträge oberhalb der gemeinschaftsrechtlichen Schwellenwerte zwingend vorschrieb. Durch §§ 57 b f. HGrG wurde für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte ein zweistufiges Nachprüfungsverfahren durch verwaltungsinterne Vergabeprüfstellen und Vergabeüberwachungsausschüsse eingeführt. Diese so genannte haushaltsrechtliche Lösung hatte ausdrücklich zum Ziel, keine einklagbaren subjektiven Rechte der potenziellen Auftragnehmer entstehen zu lassen. [9] Mit dem am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26. August 1998 (BGBl I S. 2512) gab der Gesetzgeber die haushaltsrechtliche Lösung auf, soweit der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien reichte. Das materielle Vergaberecht wurde in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen integriert. [10] Das gemeinschaftsrechtliche Vergaberecht wurde zwischenzeitlich geändert. Ende März 2004 wurden zwei neue Koordinierungsrichtlinien verabschiedet (Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004, ABl Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 1; ABl Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 114), die eine teilweise Neuordnung des Vergabeverfahrens vorsehen. Die Rechtsmittelrichtlinien gelten dagegen fort. [11] 2. Die durch das Vergaberechtsänderungsgesetz eingeführte so genannte kartellrechtliche Lösung führt zu einer Zweiteilung des Vergaberechts. Das Vergaberecht der §§ 97 ff. GWB ist nach § 100 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 2 der nach § 97 Abs. 6, § 127 GWB erlassenen Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge – Vergabeverordnung (im Folgenden: VgV) nur auf Vergaben mit Beträgen ab bestimmten Schwellenwerten anwendbar, die sich an den gemeinschaftsrechtlichen Schwellenwerten orientieren. Für Vergaben unterhalb dieser Schwellenwerte verbleibt es dagegen bei der früheren, haushaltsrechtlich geprägten Rechtslage. Daraus ergeben sich erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Frage, ob potentielle Auftragnehmer subjektive Rechte innehaben und welchen Rechtsschutz sie genießen. [12] a) Für Aufträge, deren Betrag den jeweils maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder übersteigt – bei Bauaufträgen handelt es sich um ein Auftragsvolumen von 5 Mio. Euro (vgl. § 100 Abs. 1, § 127 Nr. 1 GWB i. V. m. § 2 Nr. 4 VgV) –, sind die allgemeinen Grundsätze der Vergabe in § 97 GWB festgelegt. Die Einzelheiten des Vergabeverfahrens werden dabei in der Vergabeverordnung geregelt, die ihrerseits in ihren §§ 4 ff. auf die Verdingungsordnungen verweist. § 97 Abs. 7 GWB räumt den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ein subjektives Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren ein. [13] Für die Durchsetzung sehen §§ 102 ff. GWB ein besonderes Nachprüfungsverfahren vor. Zur Nachprüfung sind zunächst die nach § 104 GWB auf Bundes- und auf Landesebene einzurichtenden Vergabekammern berufen. Diese üben gemäß § 105 Abs. 1 GWB ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung aus. Das Nachprüfungsverfahren wird durch Antrag eingeleitet, zu dem gemäß § 107 GWB jedes Unternehmen befugt ist, das ein Interesse an dem Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend macht, durch die ihm ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Nach Zustellung des Antrags darf der Auftraggeber gemäß § 115 Abs. 1 GWB den Zuschlag vor einer Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist des § 117 Abs. 1 GWB nicht erteilen. Die Vergabekammer untersucht nach § 110 Abs. 1 Satz 1 GWB den Sachverhalt von Amts wegen. [14] Einen bereits erteilten Zuschlag kann die Vergabekammer gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht aufheben. Da Zuschlag und Vertragsschluss in einem Akt zusammenfallen, begründet dies regelmäßig die Gefahr, dass der Antrag auf Nachprüfung zu spät kommt. Um dem entgegenzutreten und effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, sieht § 13 VgV vor, dass die unterlegenen Bieter spätestens 14 Tage vor dem Vertragsschluss über den Namen des erfolgreichen Bieters und den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots informiert werden. Ein vor Fristablauf oder ohne Information geschlossener Vertrag ist nichtig. [15] Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist nach § 116 GWB die sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht eröffnet, die gemäß § 117 Abs. 1 GWB in einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen ist. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde entfaltet nach § 118 Abs. 1 Satz 1 GWB aufschiebende Wirkung. Ist die Beschwerde begründet, kann das Oberlandesgericht gemäß § 123 Satz 2 GWB selbst in der Sache entscheiden oder die Vergabekammer zur erneuten Entscheidung verpflichten. [16] Des Weiteren enthält § 126 GWB eine besondere Anspruchsgrundlage des übergangenen Bieters auf Ersatz des Vertrauensschadens. Weitergehende Schadensersatzansprüche bleiben unberührt. [17] b) Für Aufträge, deren Volumen den maßgeblichen Schwellenwert nicht erreicht, bleibt das Vergaberecht Teil des öffentlichen Haushaltsrechts und insofern Innenrecht der Verwaltung. Die Basisparagraphen aus dem jeweiligen ersten Abschnitt der Teile A der Verdingungsordnungen gelten für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte regelmäßig als Verwaltungsvorschriften aufgrund entsprechender Anweisung, wie sie in den Haushaltsordnungen vorgesehen ist. [18] Ob und inwieweit den Interessenten Primäransprüche im laufenden Vergabeverfahren zustehen, hängt mangels besonderer Regeln von den Vorgaben der allgemeinen Rechtsordnung ab (vgl. Rudolf, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., 2005, Rn. 80 ff., m. w. N.). Soweit sich danach überhaupt Unterlassungsansprüche ergeben können, sind diese faktisch in aller Regel nicht durchsetzbar, da sie jedenfalls mit Erteilung des Zuschlags untergehen (vgl. Rudolf, a. a. O., Rn. 89). Die erfolglosen Bewerber erfahren von ihrer Nichtberücksichtigung zumeist erst mit oder nach dem Zuschlag. [19] Faktisch sind die erfolglosen Bewerber um eine Auftragsvergabe unterhalb des Schwellenwertes daher in aller Regel vom Primärrechtsschutz ausgeschlossen. Allerdings kann eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses des erfolglosen Bieters in Betracht kommen."<ref>BVerfG, Urteil v. 13.06.2006 - 1 BvR 1160/03 = NJW 2006, 3701, Abs. 5 ff.</ref>

Fußnoten

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