Nichtladung von Mitgliedern eines Vereins zur Mitgliederversammlung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 19. Mai 2020, 10:56 Uhr
Der BGH hält für den Fall, daß einzelne Vereinsmitglieder infolge einer vom Verein zu vertretenden Nachlässigkeit keine Einladung erhalten haben, einen ohne ihre Teilnahme zustande gekommenen Vereinsbeschluss - jedenfalls soweit keine weiteren Umstände (wie z.B. eine unlautere Wahlbeeinflussung) hinzukommen - für wirksam, sofern einwandfrei feststeht, daß der Beschluß bei ordnungsmäßiger Ladung ebenso ausgefallen wäre. Hierfür genügt allerdings nicht die bloße Wahrscheinlichkeit des gleichen Ergebnisses. Vielmehr muß der Verein den sicheren Nachweis führen, daß der beanstandete Beschluß nicht auf dem Mangel beruhen kann<ref>(vgl. für die Beschlußanfechtung bei Kapitalgesellschaften BGH NJW 1972, 1320 f m.w.N.; für § 51 GenG RGZ 119, 243, 246)</ref>. Dieser Beweis ist z.B. schon dann gescheitert, wenn eine der Abstimmung vorausgehende Aussprache vorgesehen war und sich im Einzelfall nicht ausschließen läßt, daß die nicht eingeladenen Mitglieder, wären sie erschienen, die Stimmabgabe auch der anderen Mitglieder in einer dem tatsächlichen Ergebnis entgegengesetzten Richtung wesentlich beeinflußt hätten<ref>(vgl. RGZ 110, 194, 196 ff; 103, 6)</ref>."<ref>BGH, Urteil vom 09.11.1972 - II ZR 63/71 = BGHZ 59, 369 Abs. 9 ff.</ref>
BGH, Urteil vom 09.11.1972 - II ZR 63/71 = BGHZ 59, 369
In Rechtsprechung und Schrifttum wird "überwiegend der Standpunkt verfochten, Verstöße gegen das Gesetz, die guten Sitten oder zwingende Satzungsvorschriften führten nach den allgemeinen Regeln (§§ 134, 138 BGB) oder mit Rücksicht darauf, daß ein Mitglied nur im Rahmen der Satzung an Mehrheitsentscheidungen gebunden ist, grundsätzlich zur Nichtigkeit eines Vereinsbeschlusses<ref>(Soergel/Schultze-v. Lasaulx, BGB 10. Aufl. § 32 Rn. 11 ff, 31 ff; Sauter/Schweyer, Der eingetragene Verein 8. Aufl. S. 114 ff m.w.N.; a. M. Richert, NJW 1957, 1543, 1544 f; Reichert/Dannecker/Kühr, Hdb. d. Vereins- und Verbandsrechts, 1970 S. 134 f, 137, 139 ff)</ref>.
2. Das kann jedoch nicht ohne jede Einschränkung gelten. Denn es würde die Willensbildung und -betätigung innerhalb des Vereins, aber auch dessen Rechtsbeziehungen nach außen mit unerträglichen Unsicherheiten belasten, wenn jedes Vereinsmitglied, ja sogar jeder Fremde wegen irgendeines Gesetzes- oder Satzungsverstoßes ohne Rücksicht auf dessen Schwere und die Bedeutung der betreffenden Angelegenheit die Nichtigkeit eines Beschlusses zeitlich unbegrenzt geltend machen könnte.
Die deshalb im Schrifttum erörterte Möglichkeit, bei Verletzung bloßer Schutzvorschriften zugunsten von Mitgliedern den Beschlußmangel als geheilt zu betrachten, wenn das betroffene Mitglied dem Beschluß nicht alsbald nach Kenntnis widersprochen hat<ref>(Soergel/Schultze-v. Lasaulx a.a.O. § 32 Anm. 11, 13 ff; Sauter/Schweyer a.a.O. S. 115 f m.w.N.; vgl. aber auch BGHZ 49, 209, 212) [BGH 18.12.1967 - II ZR 211/65]</ref>, scheidet freilich aus, soweit es um einen Einberufungsmangel geht, wie er hier in erster Linie geltend gemacht ist. Denn die Nichteinladung stimmberechtigter Mitglieder zu einer beschließenden Versammlung bedeutet bei einem Personenverband einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen tragende Grundsätze des Verbandsrechts, der bei gleichwohl durchgeführter Abstimmung in der Regel zur Nichtigkeit des Beschlusses oder der Wahl führt, es sei denn, daß tatsächlich alle Mitglieder erschienen sind und der Durchführung der Versammlung nicht widersprochen haben<ref>(vgl. § 241 Nr. 1 AktG, § 51 Abs. 3 GmbHG und für die Genossenschaft BGH LM GenG § 6 Nr. 1 zu III 1 b; BayObLGZ 1963, 15, 18; Sauter/Schweyer a.a.O. S. 94; Soergel/Schultze-v. Lasaulx a.a.O. § 32 Anm. 12, 14 m.w.N.)</ref>. Die durch Gesetz und Satzung zwingend angeordnete, bei Abstimmungen schon von der Sache her gebotene Einladung aller Mitglieder dient nämlich nicht nur dem Schutz einzelner, sondern dem Interesse sämtlicher Mitglieder an einer recht- und ordnungsmäßigen Willensbildung<ref>(RG SeuffArch. 77 Nr. 53)</ref>. So versteht auch § 32 BGB, wenn er grundsätzlich die "Beschlußfassung in einer Versammlung der Mitglieder" vorschreibt und die Gültigkeit eines Beschlusses sogar von der Angabe des Beschlußgegenstands bei der Einberufung abhängig macht, unter einer "Versammlung der Mitglieder" nur eine ordnungsmäßig einberufene Versammlung, wobei die Einladung sämtlicher Mitglieder als selbstverständlich vorausgesetzt ist<ref>(RG JW 1912, 741; SeuffArch. 77 Nr. 53)</ref>.
Es ist daher davon auszugehen, daß grundsätzlich ein Vereinsbeschluß oder eine Wahl ungültig ist, wenn nicht alle Mitglieder in der durch die Satzung bestimmten Weise (§ 58 Nr. 4 BGB), d.h. gewöhnlich entweder durch Bekanntgabe in einem Blatt oder durch Einzelbenachrichtigungen, eingeladen worden sind.
3. Dieser Grundsatz darf jedoch nicht überspannt werden. So würde es über das Ziel hinausschießen, wollte man z.B. bei einem Verein, der, wie hier, mehr als 500 Mitglieder hat, eine Abstimmung als wirkungslos betrachten, wenn auch nur ein Mitglied versehentlich nicht geladen war und dieser Fehler das Abstimmungsergebnis unter keinen Umständen beeinflußt haben kann. Denn bei solcher Lage ist eine ordnungsmäßige Gesamtwillensbildung, wie sie Gesetz und Satzung durch bestimmte Mindestanforderungen gewährleisten wollen, überhaupt nicht in Frage gestellt.
Allerdings hat das Reichsgericht selbst für Fälle dieser Art die Ansicht vertreten, die mit dem Einladungsmangel behafteten Beschlüsse könnten "ihrer Ungültigkeit auch nicht durch nachträgliche Erörterungen und Mutmaßungen über die Stimmen der nicht geladenen Mitglieder und deren Einfluß auf das Gesamtergebnis entkleidet werden" (RG JW 1912, 741; SeuffArch. 77 Nr. 53). Dem entspricht es, daß bei den handelsrechtlichen Körperschaften gegenüber einem Nichtigkeitsgrund, anders als bei bloßer Anfechtbarkeit, der Nachweis der fehlenden Ursächlichkeit nicht zugelassen wird (BGHZ 11, 231, 239) [BGH 16.12.1953 - II ZR 167/52].
Im Vereinsrecht, das nur gültige oder ungültige, aber keine lediglich anfechtbaren Beschlüsse im Sinne der §§ 243 ff AktG oder des § 51 GenG kennt, hat der Senat jedoch einen Vereinsbeschluß trotz Mitwirkung nicht stimmberechtigter Personen als gültig angesehen, sofern der Verein beweist, daß der Verstoß nicht auf der unberechtigten Stimmabgabe beruht (BGHZ 49, 209). Freilich handelte es sich dort um Mängel bei der Durchführung, hier dagegen um solche bei der Einberufung einer Versammlung, ein Unterschied, der rechtlich eine Rolle spielen mag, wo das Gesetz, wie in den §§ 241 ff AktG, die Nichtigkeit von Beschlüssen wegen eines Verfahrensmangels im Gegensatz zur Anfechtbarkeit auf bestimmte, abschließend bezeichnete Mängel beschränkt, von dem hier nicht interessierenden Fall der fehlenden Beurkundung abgesehen. Beim Verein kann dieser Unterschied aber von der Sache her nicht den Ausschlag geben. Denn die Gefahr einer Verfälschung des Abstimmungsergebnisses und damit einer unzutreffenden Feststellung des Verbandswillens ist, wenn Unberechtigte mit abstimmen, nicht geringer, als wenn Abstimmungsberechtigte nicht eingeladen werden. Scheidet aber im Einzelfall die Möglichkeit aus, daß das Abstimmungsergebnis verfälscht sein könnte, so verliert der sonst unbedingt durchschlagende Gedanke, daß die Einladung aller Mitglieder zu den Mindestvoraussetzungen eines gültigen Beschlusses gehört, an Gewicht. Er muß dann hinter dem nicht minder beachtlichen Interesse der Mitgliedergesamtheit zurücktreten, das für ein geordnetes Vereinsleben unerlässliche grundsätzliche Vertrauen auf den Bestand von Versammlungsbeschlüssen nicht durch eine zu weitgehende Berücksichtigung von Einwendungen, denen im Einzelfall kein echtes Schutzbedürfnis zugrunde liegt, unnötig gestört zu sehen. Dabei ist auch der schon erwähnten Tatsache Rechnung zu tragen, daß es Vereine mit höchst unterschiedlicher Art und Zusammensetzung gibt, bei denen es nicht immer möglich ist, mit solcher Strenge Förmlichkeiten einzuhalten, wie es bei anderen Körperschaften von der Sache her angebracht und deshalb nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch üblich ist.
4. Der Senat hält daher auch für den Fall, daß einzelne Vereinsmitglieder infolge einer vom Verein zu vertretenden Nachlässigkeit keine Einladung erhalten haben, einen ohne ihre Teilnahme zustande gekommenen Vereinsbeschluß - jedenfalls soweit keine weiteren Umstände (wie z.B. eine unlautere Wahlbeeinflussung) hinzukommen - für wirksam, sofern einwandfrei feststeht, daß der Beschluß bei ordnungsmäßiger Ladung ebenso ausgefallen wäre. Hierfür genügt allerdings nicht die bloße Wahrscheinlichkeit des gleichen Ergebnisses. Vielmehr muß der Verein den sicheren Nachweis führen, daß der beanstandete Beschluß nicht auf dem Mangel beruhen kann (vgl. für die Beschlußanfechtung bei Kapitalgesellschaften BGH NJW 1972, 1320 f m.w.N.; für § 51 GenG RGZ 119, 243, 246). Dieser Beweis ist z.B. schon dann gescheitert, wenn eine der Abstimmung vorausgehende Aussprache vorgesehen war und sich im Einzelfall nicht ausschließen läßt, daß die nicht eingeladenen Mitglieder, wären sie erschienen, die Stimmabgabe auch der anderen Mitglieder in einer dem tatsächlichen Ergebnis entgegengesetzten Richtung wesentlich beeinflußt hätten (vgl. RGZ 110, 194, 196 ff; 103, 6)."<ref>BGH, Urteil vom 09.11.1972 - II ZR 63/71 = BGHZ 59, 369 Abs. 9 ff.</ref>
Rechtsprechung
Bundesgerichtshof (BGH)
- BGH, Urteil vom 13.02.2006 - II ZR 200/04 = NJW-RR 2006, 831: "Weist die Ladung zu einer Gesellschafterversammlung derart schwerwiegende Form- und Fristmängel auf, dass dem Gesellschafter eine Teilnahme faktisch unmöglich gemacht wird (hier: Ladung per E-Mail in den Abendstunden des Vortages auf den frühen Vormittag des nächsten Tages), steht dies einer Nichtladung des Gesellschafters gleich und führt zur Nichtigkeit der auf der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlüsse."<ref>Amtlicher Leitsatz</ref>
- BGH, Urteil vom 09.11.1972 - II ZR 63/71 = BGHZ 59, 369
Bayerisches Oberstes Landesgericht (BayObLG)
Siehe auch
Fußnoten
<references/>