Plaudern aus der nichtöffentlichen Stadtratssitzung: Unterschied zwischen den Versionen

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*dem an sich für die Einhaltung der genannten Grundsätze verantwortlichen Rat Gelegenheit gegeben hat, von seiner Auffassung Kenntnis zu nehmen;  
 
*dem an sich für die Einhaltung der genannten Grundsätze verantwortlichen Rat Gelegenheit gegeben hat, von seiner Auffassung Kenntnis zu nehmen;  
 
*zudem setzt die Erforderlichkeit der Aufgabe der Verschwiegenheit in der Regel voraus, dass das Ratsmitglied sich zur Wahrung der Rechtsgrundsätze zunächst an die [[Rechtsaufsicht|Aufsichtsbehörde]] wendet.<ref>amtlicher Leitsatz {{OGV Rheinland-Pfalz 7 A 12186/94}}</ref>
 
*zudem setzt die Erforderlichkeit der Aufgabe der Verschwiegenheit in der Regel voraus, dass das Ratsmitglied sich zur Wahrung der Rechtsgrundsätze zunächst an die [[Rechtsaufsicht|Aufsichtsbehörde]] wendet.<ref>amtlicher Leitsatz {{OGV Rheinland-Pfalz 7 A 12186/94}}</ref>
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Der {{BayVGH}} konkretisiert:
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"Soweit der Antragsteller vorträgt, aus dem Gutachten ergäben sich Hinweise auf ein früheres rechtswidriges oder sogar strafbares Verhalten bestimmter Amtsträger, rechtfertigt auch dies keine Selbstentbindung von der gesetzlich begründeten Verschwiegenheitspflicht. Die Vorschriften der Gemeindeordnung geben dem einzelnen Gemeinderatsmitglied kein Recht, eigenständig über die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Gemeindeorgane zu befinden<ref>vgl. BayVGH U.v. 23.3.1988 – 4 B 86.02994 – NVwZ 1989, 182/183</ref>. Stünde Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GO einer Offenbarung von Verwaltungsinterna nur entgegen, wenn es sich – nach der persönlichen Einschätzung des Verpflichteten – um rechtmäßige Vorgänge handelte, liefe diese Vorschrift praktisch leer, weil ihre Reichweite dann von den subjektiven Bewertungen einzelner Kommunalpolitiker abhinge. Ein Mandatsträger, der die Behandlung einer Angelegenheit für rechtswidrig oder sogar für strafbar hält, darf daher im Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 2 GO nicht einfach die „Flucht in die Öffentlichkeit“ antreten, sondern muss sich vorrangig an die zuständige Kommunalaufsichts- oder Strafverfolgungsbehörde wenden<ref>BayVGH a.a.O.; Prandl/Zimmermann/Büchner a.a.O., Art. 20 Rn. 4</ref>.
 
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==Siehe auch==
 
==Siehe auch==

Version vom 26. August 2015, 06:51 Uhr

Der Geheimhaltungspflicht unterliegen auch alle Angelegenheiten, die der Rat in nichtöffentlicher Sitzung berät, auch ohne zuvor die Öffentlichkeit (ausdrücklich) ausgeschlossen zu haben<ref>OVG NRW, Beschluss vom 7.4.2011 - 15 A 441/11; OVG NRW, Urteil vom 22.09.1965 - III A. 1360/63 - DÖV 1966, 504, 505</ref>.

Dazu zählen

  • die eigentliche Beratung,
  • das Abstimmungsergebnis sowie
  • wohl auch die eigene Abstimmung<ref>Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Verlag C.H.Beck München, 23. ErgL, Stand Mai 2010, ISBN 9783406594984 Art. 20 Rdnr. 4 mit Hinweis auf a.A. Säcker, Aktuelle Probleme der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1986, 803/807</ref>

Verschwiegenheitspflicht auch bei zu Unrecht erfolgtem Ausschluss der Öffentlichkeit?

Im Beschluss des Rates, in einer Angelegenheit die Öffentlichkeit auszuschließen, sieht die Rechtsprechung zugleich den Beschluss, die Angelegenheit geheim zu halten. Auch ein zu Unrecht erfolgter Ausschluss der Öffentlichkeit kann daher grundsätzlich die Verschwiegenheitspflicht nach sich ziehen.<ref>Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Dezember 2009 15 A 2126/09 -, NWVBl. 2010, 237; VG Oldenburg, Urteil vom 29.09.2005, 2 A 68/03; anders aber *OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.06.1995 - 7 A 12186/94 - "Flucht an die Öffentlichkeit"</ref>.

Abstimmungsverhalten

Der Verschwiegenheit unterliegt auch das Abstimmungsverhalten. Möglicherweise kann eine Ausnahme zugunsten des eigenen Abstimmungsverhaltens zu machen sein, soweit keine Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten anderer Ratsmitglieder möglich sind<ref>Keilich/Brummer, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – Geheimhaltungspflichten auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; a.A. Säcker, NJW 1986, 803, 807f</ref>

Verschwiegenheitspflicht und Recht auf Meinungsfreiheit

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem Beschluss vom 12.06.1989<ref>BVerwG, Beschluss vom 12.06.1989 - 7 B 123.88 = BayVBl. 1990, 157; NVwZ 1989, 975</ref> folgenden Fall zu entscheiden:

Der Kläger war ein bayerischer Gemeinderat. In nichtöffentlicher Sitzung war der geplante Abschluss eines - aus Sicht des Klägers - rechtswidrigen Stromlieferungsvertrags der beklagten Gemeinde mit einem Energieversorgungsunternehmen behandelt worden. Der Kläger hatte sich deshalb in der Presse zu dem Vorgang geäußert. Der Gemeinderat der Beklagten hatte dies als Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht gewertet und ein Ordnungsgeld verhängt. Der Kläger berief sich für seine Äußerung auf den Grundrechtsschutz der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG).

Das Bundesverwaltungsgericht hatte bereits in einem früheren Urteil<ref>BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1971 - BVerwG 2 C 11.70</ref> der Amtsverschwiegenheit eines Beamten das Übergewicht gegenüber den in Art. 5 GG geschützten Gütern der freien Meinungsäußerung und der Wissenschaftsfreiheit eingeräumt.

Der Kläger vertrat vorliegend allerdings die Auffassung, die für einen Berufsbeamten geltende rechtliche Lage treffe auf einen ehrenamtlichen Gemeinderat nicht zu; denn der kommunale Wahlbeamte sei vor allem auch seinen Wählern gegenüber verpflichtet. Es gehe jedenfalls darum zu klären, ob der drohende Abschluss eines rechtswidrigen Vertrages geheimhaltungsbedürftig sei.

Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt entschieden:

"Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das in Abs. 1 gewährleistete Recht, eine Meinung frei äußern und verbreiten zu dürfen, seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Darunter sind Gesetze zu verstehen, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen<ref>BVerfGE 71, 206 <214>[BVerfG 03.12.1985 - 1 BvL 15/84] m.w.N.</ref>. Die den Kläger belastende Verschwiegenheitsverpflichtung des Art. 20 Abs. 2 der Bayerischen Gemeindeordnung verbietet dem ehrenamtlich tätigen Gemeindebürger, bei seiner Tätigkeit bekanntgewordene Angelegenheiten zu offenbaren; ausgenommen sind nur Mitteilungen im amtlichen Verkehr sowie Tatsachen, die offenkundig oder ihrer Bedeutung nach nicht geheimhaltungsbedürftig sind. Diese gemeinderechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung ist, wie auf der Hand liegt, nicht gegen irgendeine Meinung als solche gerichtet; sie beruht auf "Vorschriften der allgemeinen Gesetze" im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG, so daß eine Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht ausgeschlossen ist.

Allerdings ist die das Grundrecht der Meinungsfreiheit tangierende Regelung, die die Gemeinderatsmitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet, ihrerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts der Meinungsfreiheit anzuwenden; sie ist aus der Erkenntnis der Bedeutung der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit auszulegen, so daß sie in ihrer dieses Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken ist<ref>BVerfGE a.a.O.</ref>. Doch auch aus dieser Sicht ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshof ersichtlich nicht zu beanstanden, wonach sich die Verpflichtung des Klägers zur Verschwiegenheit auf den in nichtöffentlicher Sitzung getroffenen Ratsbeschluß erstreckt, in dem die grundsätzliche Bereitschaft der Gemeinde zum Abschluß eines Energielieferungsvertrags gegenüber dem mit der Gemeinde verhandelnden Energieversorgungsunternehmen zum Ausdruck gekommen war. Angesichts der vom Verwaltungsgerichtshof gewürdigten erheblichen finanziellen und wirtschaftlichen Bedeutung des Stromlieferungsvertrags für die beklagte Gemeinde lag die Geheimhaltung dieses Umstands in deren wohlverstandenem Interesse, schon weil sie zur Wahrung der eigenen Verhandlungsposition notwendig war. Überwiegende Belange des Klägers, die dazu drängten, die Vertragsabsichten der beklagten Gemeinde in der Presse offenzulegen, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht nicht darin sehen müssen, daß das dem Gemeinderatsbeschluß zugrundeliegende Vertragsangebot eine kartellrechtswidrige Laufzeit von über zwanzig Jahren enthielt. Ein durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschütztes Interesse des Klägers, in die Öffentlichkeit zu gehen, wird vor dem Hintergrund der vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Sachverhaltsgestaltung auch durch diesen Umstand nicht begründet. Zum einen war die grundsätzliche Bereitschaft der beklagten Gemeinde zum Vertragsabschluß mit den Auflagen verbunden, in weiteren Verhandlungen durch die Verwaltung die Laufzeit möglichst zu reduzieren und den Vertragsentwurf durch den Bayerischen Gemeindetag überprüfen zu lassen, so daß es nach Lage der Dinge nicht ohne weiteres erforderlich gewesen wäre, die Verhandlungsinteressen der beklagten Gemeinde aufs Spiel zu setzen. Vor allem aber - und das ist ausschlaggebend - wäre der Kläger, falls ihm ein weiteres Zuwarten unvertretbar erschienen sein sollte, gehalten gewesen, die Rechtsaufsichtsbehörde mit dem Vorgang zu befassen; nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs war dem Kläger dieser mögliche Weg bewußt. Die vorherige Einschaltung der Rechtsaufsichtsbehörde wäre der die berechtigter. Interessen der Gemeinde schonendere und dem Kläger zugleich zumutbare Weg gewesen. Deshalb beruht die auf dem Vorwurf des Bruchs der Geheimhaltungspflicht gründende Verhängung eines Ordnungsgeldes auf keiner unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit des Klägers."<ref>BVerwG, Beschluss vom 12.06.1989 - 7 B 123.88 = BayVBl. 1990, 157; NVwZ 1989, 975</ref>

"Flucht an die Öffentlichkeit" als ultima ratio

Steht das Ratsplenum im Begriff, durch die abschließende Behandlung einer Angelegenheit (hier: Abschluss eines Konzessionsvertrages mit einem Stromversorger samt Nebenverträgen mit Eigengesellschaften) in nichtöffentlicher Sitzung den Öffentlichkeitsgrundsatz zu verletzen, so kommt nach OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.06.1995 - 7 A 12186/94 für das einzelne Ratsmitglied zur Wahrung seiner demokratischen Teilhabe als "ultima ratio" die Preisgabe von Informationen an die Öffentlichkeit in Betracht.<ref>amtlicher Leitsatz</ref> Die Flucht eines Ratsmitglieds an die Öffentlichkeit ist in solchen Fällen aber nur gerechtfertigt, wenn es zuvor

  • dem an sich für die Einhaltung der genannten Grundsätze verantwortlichen Rat Gelegenheit gegeben hat, von seiner Auffassung Kenntnis zu nehmen;
  • zudem setzt die Erforderlichkeit der Aufgabe der Verschwiegenheit in der Regel voraus, dass das Ratsmitglied sich zur Wahrung der Rechtsgrundsätze zunächst an die Aufsichtsbehörde wendet.<ref>amtlicher Leitsatz OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.06.1995 - 7 A 12186/94</ref>

Der Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) konkretisiert:

"Soweit der Antragsteller vorträgt, aus dem Gutachten ergäben sich Hinweise auf ein früheres rechtswidriges oder sogar strafbares Verhalten bestimmter Amtsträger, rechtfertigt auch dies keine Selbstentbindung von der gesetzlich begründeten Verschwiegenheitspflicht. Die Vorschriften der Gemeindeordnung geben dem einzelnen Gemeinderatsmitglied kein Recht, eigenständig über die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Gemeindeorgane zu befinden<ref>vgl. BayVGH U.v. 23.3.1988 – 4 B 86.02994 – NVwZ 1989, 182/183</ref>. Stünde Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GO einer Offenbarung von Verwaltungsinterna nur entgegen, wenn es sich – nach der persönlichen Einschätzung des Verpflichteten – um rechtmäßige Vorgänge handelte, liefe diese Vorschrift praktisch leer, weil ihre Reichweite dann von den subjektiven Bewertungen einzelner Kommunalpolitiker abhinge. Ein Mandatsträger, der die Behandlung einer Angelegenheit für rechtswidrig oder sogar für strafbar hält, darf daher im Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 2 GO nicht einfach die „Flucht in die Öffentlichkeit“ antreten, sondern muss sich vorrangig an die zuständige Kommunalaufsichts- oder Strafverfolgungsbehörde wenden<ref>BayVGH a.a.O.; Prandl/Zimmermann/Büchner a.a.O., Art. 20 Rn. 4</ref>.


Siehe auch

Fußnoten

<references />