Gewissen: Unterschied zwischen den Versionen

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* "Unter Gewissen ist ein real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Gewissensentscheidung "jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von 'Gut' und 'Böse' orientierte Entscheidung …, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt innerlich verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte"<ref>vgl. u. a. BVerfG, Urteil vom 13. April 1978 - 2 BvF 1/77 u. a. - [BVerfGE 48, 127 [173 f.]] im Anschluss an die stRspr.: vgl. u. a. Beschluss vom 20. Dezember 1960 - 1 BvL 21/60 - [BVerfGE 12, 45 [54 f.]]</ref>. Der Prozess der Gewissensbildung hat als psychisches Phänomen kognitive, affektive und sozio-psychische Komponenten. Die kognitive Komponente des Gewissens beinhaltet das Bewusstsein spezifischer, sich selbst und/oder anderen gegenüber bestehender gewichtiger ethischer Pflichten und Normen<ref>vgl. dazu u. a. Klier, Gewissensfreiheit und Psychologie, 1978, S. 141 ff.; ähnlich Geißler, Das Recht der Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. III des Grundgesetzes, Dissertation 1960, S. 44 m. w. N.</ref>. Denn der "ethische Bezug" des Gewissens, also die Beziehung auf ein Erkennen von "Gut" und "Böse" in seiner allgemeinsten Form bis hin zu speziellen Erkenntnissen, ist jedem Gewissensvorgang immanent. Einer Gewissensentscheidung liegt stets eine Werterkenntnis und -entscheidung zugrunde. Die affektive Komponente des Gewissens bezeichnet die gefühlsmäßige Bindung an diese ethischen Pflichten und Normen mit der Konsequenz schmerzhafter Empfindungen im Falle ihrer Verletzung durch den Betroffenen."<ref>{{BVerwG 2 WD 12. 04}} Abs. 134</ref>
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* "Unter Gewissen ist ein real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Gewissensentscheidung "jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von 'Gut' und 'Böse' orientierte Entscheidung …, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt innerlich verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte"<ref>vgl. u. a. BVerfG, Urteil vom 13. April 1978 - 2 BvF 1/77 u. a. - [BVerfGE 48, 127 [173 f.]] im Anschluss an die stRspr.: vgl. u. a. Beschluss vom 20. Dezember 1960 - 1 BvL 21/60 - [BVerfGE 12, 45 [54 f.]]</ref>. Der Prozess der Gewissensbildung hat als psychisches Phänomen kognitive, affektive und sozio-psychische Komponenten. Die kognitive Komponente des Gewissens beinhaltet das Bewusstsein spezifischer, sich selbst und/oder anderen gegenüber bestehender gewichtiger ethischer Pflichten und Normen<ref>vgl. dazu u. a. Klier, Gewissensfreiheit und Psychologie, 1978, S. 141 ff.; ähnlich Geißler, Das Recht der Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. III des Grundgesetzes, Dissertation 1960, S. 44 m. w. N.</ref>. Denn der "ethische Bezug" des Gewissens, also die Beziehung auf ein Erkennen von "Gut" und "Böse" in seiner allgemeinsten Form bis hin zu speziellen Erkenntnissen, ist jedem Gewissensvorgang immanent. Einer Gewissensentscheidung liegt stets eine Werterkenntnis und -entscheidung zugrunde. Die affektive Komponente des Gewissens bezeichnet die gefühlsmäßige Bindung an diese ethischen Pflichten und Normen mit der Konsequenz schmerzhafter Empfindungen im Falle ihrer Verletzung durch den Betroffenen."<ref>{{BVerwG 2 WD 12.04}} Abs. 134</ref>
*"Die sozio-psychische Komponente des Gewissens betrifft die Aufnahme dieser ethischen Pflichten und Normen in das Innere der Persönlichkeit und damit den Prozess, der zur Errichtung des Gewissens als "Zensor" führt<ref>vgl. dazu u. a. Klier, a. a. O., S. 142. f. m. w. N.; Preuß, a. a. O., Art. 4 Abs. 1 RNr. 38 m. w. N.</ref>. Der Prozess der Gewissenbildung ist aufgrund seiner kognitiven, affektiven und sozio-psychischen Komponenten ein komplexer psychischer Vorgang der subjektiven individuellen Persönlichkeitsbildung. Für die grundrechtliche Anerkennung dieses psychischen Phänomens kommt es nicht darauf an, ob die Normbildung auf überwiegend rationalen oder eher gefühlsmäßigen Gründen beruht. Die "Erkenntnisse" über die in Rede stehenden ethischen Gebote können aus allen Gebieten des Lebens herrühren und so z. B. der christlichen oder einer anderen Religion, dem Humanismus oder anderen Weltanschauungen, aber auch dem geltenden Recht, in dem ethische Entscheidungen ihren Niederschlag gefunden haben, entnommen sein. Wesentlich ist insoweit nur, dass das Gewissen diese Werte als ethisch verbindliche Verhaltensnormen internalisiert hat und dadurch in der Lage ist, vor ihrer Missachtung zu warnen<ref>vgl. dazu u. a. Geißler, a. a. O., S. 47 f.</ref>. Objektiv zwingend vorgegebene Inhalte können dabei nicht ausgemacht werden<ref>vgl. Morlok in Dreier [Hrsg.], GG, 2. Aufl. 2004, RNr. 81 m. w. N.</ref>. Das Kriterium für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG kann nicht ihrer "Wahrheit" in Gestalt einer Übereinstimmung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen, einem naturrechtlich oder anderweitig bestimmten Sittengesetz, in der Gesellschaft vorherrschenden, also überwiegend vertretenen ethischen Grundüberzeugungen, einer bestimmten "Werteordnung" oder Ähnlichem entnommen werden. Damit würde gerade die Individualität und Freiheit des Gewissens negiert."<ref>{{BVerwG 2 WD 12. 04}} Abs. 135</ref>
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*"Die sozio-psychische Komponente des Gewissens betrifft die Aufnahme dieser ethischen Pflichten und Normen in das Innere der Persönlichkeit und damit den Prozess, der zur Errichtung des Gewissens als "Zensor" führt<ref>vgl. dazu u. a. Klier, a. a. O., S. 142. f. m. w. N.; Preuß, a. a. O., Art. 4 Abs. 1 RNr. 38 m. w. N.</ref>. Der Prozess der Gewissenbildung ist aufgrund seiner kognitiven, affektiven und sozio-psychischen Komponenten ein komplexer psychischer Vorgang der subjektiven individuellen Persönlichkeitsbildung. Für die grundrechtliche Anerkennung dieses psychischen Phänomens kommt es nicht darauf an, ob die Normbildung auf überwiegend rationalen oder eher gefühlsmäßigen Gründen beruht. Die "Erkenntnisse" über die in Rede stehenden ethischen Gebote können aus allen Gebieten des Lebens herrühren und so z. B. der christlichen oder einer anderen Religion, dem Humanismus oder anderen Weltanschauungen, aber auch dem geltenden Recht, in dem ethische Entscheidungen ihren Niederschlag gefunden haben, entnommen sein. Wesentlich ist insoweit nur, dass das Gewissen diese Werte als ethisch verbindliche Verhaltensnormen internalisiert hat und dadurch in der Lage ist, vor ihrer Missachtung zu warnen<ref>vgl. dazu u. a. Geißler, a. a. O., S. 47 f.</ref>. Objektiv zwingend vorgegebene Inhalte können dabei nicht ausgemacht werden<ref>vgl. Morlok in Dreier [Hrsg.], GG, 2. Aufl. 2004, RNr. 81 m. w. N.</ref>. Das Kriterium für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG kann nicht ihrer "Wahrheit" in Gestalt einer Übereinstimmung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen, einem naturrechtlich oder anderweitig bestimmten Sittengesetz, in der Gesellschaft vorherrschenden, also überwiegend vertretenen ethischen Grundüberzeugungen, einer bestimmten "Werteordnung" oder Ähnlichem entnommen werden. Damit würde gerade die Individualität und Freiheit des Gewissens negiert."<ref>{{BVerwG 2 WD 12.04}} Abs. 135</ref>
  
 
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==Rechtspechung==
 
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* {{BVerwG 2 WD 12. 04}} Abs. 134 ff.
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==Publikationen==
 
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Version vom 6. April 2015, 21:41 Uhr

"Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." (GG Art. 4 Abs. 1)

Begriff

  • "Unter Gewissen ist ein real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Gewissensentscheidung "jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von 'Gut' und 'Böse' orientierte Entscheidung …, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt innerlich verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte"<ref>vgl. u. a. BVerfG, Urteil vom 13. April 1978 - 2 BvF 1/77 u. a. - [BVerfGE 48, 127 [173 f.]] im Anschluss an die stRspr.: vgl. u. a. Beschluss vom 20. Dezember 1960 - 1 BvL 21/60 - [BVerfGE 12, 45 [54 f.]]</ref>. Der Prozess der Gewissensbildung hat als psychisches Phänomen kognitive, affektive und sozio-psychische Komponenten. Die kognitive Komponente des Gewissens beinhaltet das Bewusstsein spezifischer, sich selbst und/oder anderen gegenüber bestehender gewichtiger ethischer Pflichten und Normen<ref>vgl. dazu u. a. Klier, Gewissensfreiheit und Psychologie, 1978, S. 141 ff.; ähnlich Geißler, Das Recht der Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. III des Grundgesetzes, Dissertation 1960, S. 44 m. w. N.</ref>. Denn der "ethische Bezug" des Gewissens, also die Beziehung auf ein Erkennen von "Gut" und "Böse" in seiner allgemeinsten Form bis hin zu speziellen Erkenntnissen, ist jedem Gewissensvorgang immanent. Einer Gewissensentscheidung liegt stets eine Werterkenntnis und -entscheidung zugrunde. Die affektive Komponente des Gewissens bezeichnet die gefühlsmäßige Bindung an diese ethischen Pflichten und Normen mit der Konsequenz schmerzhafter Empfindungen im Falle ihrer Verletzung durch den Betroffenen."<ref>BVerwG, Urteil vom 21.06.2005 - 2 WD 12. 04 Abs. 134</ref>
  • "Die sozio-psychische Komponente des Gewissens betrifft die Aufnahme dieser ethischen Pflichten und Normen in das Innere der Persönlichkeit und damit den Prozess, der zur Errichtung des Gewissens als "Zensor" führt<ref>vgl. dazu u. a. Klier, a. a. O., S. 142. f. m. w. N.; Preuß, a. a. O., Art. 4 Abs. 1 RNr. 38 m. w. N.</ref>. Der Prozess der Gewissenbildung ist aufgrund seiner kognitiven, affektiven und sozio-psychischen Komponenten ein komplexer psychischer Vorgang der subjektiven individuellen Persönlichkeitsbildung. Für die grundrechtliche Anerkennung dieses psychischen Phänomens kommt es nicht darauf an, ob die Normbildung auf überwiegend rationalen oder eher gefühlsmäßigen Gründen beruht. Die "Erkenntnisse" über die in Rede stehenden ethischen Gebote können aus allen Gebieten des Lebens herrühren und so z. B. der christlichen oder einer anderen Religion, dem Humanismus oder anderen Weltanschauungen, aber auch dem geltenden Recht, in dem ethische Entscheidungen ihren Niederschlag gefunden haben, entnommen sein. Wesentlich ist insoweit nur, dass das Gewissen diese Werte als ethisch verbindliche Verhaltensnormen internalisiert hat und dadurch in der Lage ist, vor ihrer Missachtung zu warnen<ref>vgl. dazu u. a. Geißler, a. a. O., S. 47 f.</ref>. Objektiv zwingend vorgegebene Inhalte können dabei nicht ausgemacht werden<ref>vgl. Morlok in Dreier [Hrsg.], GG, 2. Aufl. 2004, RNr. 81 m. w. N.</ref>. Das Kriterium für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG kann nicht ihrer "Wahrheit" in Gestalt einer Übereinstimmung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen, einem naturrechtlich oder anderweitig bestimmten Sittengesetz, in der Gesellschaft vorherrschenden, also überwiegend vertretenen ethischen Grundüberzeugungen, einer bestimmten "Werteordnung" oder Ähnlichem entnommen werden. Damit würde gerade die Individualität und Freiheit des Gewissens negiert."<ref>BVerwG, Urteil vom 21.06.2005 - 2 WD 12. 04 Abs. 135</ref>

Normen

Grundrechte

Rechtspechung

Publikationen

Siehe auch

Fußnoten

<references />